Aus der Geisendörfer-Jury Allgemeine Programme / Von Diemut Roether
Die Flüchtlinge, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, haben das Land verändert. Kein Wunder also, dass sich auch in diesem Jahr viele Einreichungen für den Robert Geisendörfer Preis mit den Themen Flucht und Integration beschäftigten. Bei den von der Vorjury ausgewählten Radiostücken traf dies auf fünf von sechs Beiträgen zu, bei den Fernsehbeiträgen auf drei von zehn.
Vor allem die eingereichten Radiobeiträge spiegelten die Thematik in ihrer ganzen Breite. In Christoph Buggerts Hörspiel „Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche“ (SR/MDR) erinnert sich der erfahrene Hörspielmacher an die eigene Flucht als Kind vor der heranrückenden Front in Ostpreußen und an das schwierige Einleben der Familie in Bremen nach dem Krieg. Das Geräusch des fernen Geschützfeuers hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen und so nachhaltig traumatisiert, dass er bis heute kein Flugzeug besteigen kann. Das Stück erzählt von Flucht und Vertreibung und von der Traumatisierung einer ganzen Generation, deren Erzählungen aber, weil die Betroffenen zur Kriegszeit noch Kinder waren, erst sehr spät ernst genommen wurden, denn - so sagt Buggert: „Viel zu viele hatten ähnliches erlebt.“
In Zusammenarbeit mit dem Liquid Penguin Ensemble hat Buggert aus diesen Erinnerungen ein kunstvolles Hörspiel komponiert.
Keine Heimat, nirgends
Auch in „Frau Baruch aus dem Erdgeschoss“ (RBB) beschäftigt sich Matthias Schirmer mit Fluchtgeschichten, die schon länger zurückliegen. Er berichtet von den Schicksalen mehrerer Frauen, die in den 1930ern und 40ern in dem Haus in Berlin lebten, in dem er heute wohnt: Ein Mädchen wurde von der Mutter mit einem Kindertransport nach England geschickt und überlebte,
während die Mutter von den Nazis deportiert und ermordet wurde. Eine jüdische Lehrerin, die ebenfalls in dem Haus lebte, begleitete vieler dieser Transporte, kehrte aber immer wieder zurück. Eine interessante Recherche, die aber in der Umsetzung nicht ganz überzeugte.
Was passiert, wenn die Integration von Flüchtlingen scheitert? In dem Feature „Bella Palanka“ (Deutschlandfunk Kultur) geht Johanna Bentz dieser Frage nach. Der heute 28-jährige Emrah Gradina, der mit seinen Eltern in den 90ern vor dem Jugoslawien-Krieg nach Deutschland floh, wird nach einer Haftstrafe abgeschoben und landet in einem heruntergekommenen Hotel im Örtchen Bela Palanka nahe der serbisch-bulgarischen Grenze. Er spricht kaum Serbisch, kämpft gegen Langeweile und gegen die serbische Bürokratie: „Ich existiere gar nicht in Serbien“, sagt Emrah, der 22 Jahre in Deutschland gelebt hat: „Immer wieder denke ich, ich bin im falschen
Film gelandet.“ Bentz lässt Emrah erzählen. Sie stellt nicht die Frage, ob es richtig ist, Straftäter abzuschieben, aber ihre Langzeitbeobachtung macht deutlich, dass es für Flüchtlinge wie ihn nirgendwo eine Heimat gibt.
In „Gespräche über uns - Unfinished Business“ (MDR Kultur) beschäftigt sich Tina Müller mit den Flüchtlingen, die 2015 zu Hunderttausenden nach Deutschland kamen, und mit der sogenannten Willkommenskultur. „Es kamen Massen“, sagt die weibliche Stimme am Anfang des Stücks, erinnert sich aber auch an die Euphorie, die sie in dem Moment empfand: „Es war schön. Es war ein bisschen wie Liebe auf den ersten Blick.“ Die Erzählerin nimmt sich eines Mannes und seiner zwei Söhne an, will ihnen helfen. Sie sind die Schutzsuchenden, sie die Helferin.
Das Hörspiel erzählt in dialogischer Form von den unterschiedlichen Erwartungen, den Bildern, die sich die einen von den anderen machen, den Rollen, die sie sich gegenseitig zuschreiben, und den Missverständnissen zwischen unterschiedlichen Kulturen. Warum findet ein muslimischer Flüchtling Donald Trump gut? Was hält er von einer Frau, die schwanger ist, aber gar nicht verheiratet? Sie erwartet Dankbarkeit, er will nicht in der passiven Rolle bleiben, die sie ihm zugedacht hat.
„You don’t know who I am“, sagt er am Anfang - und in der Tat will sie das vielleicht lieber nicht wissen. Das Stück lässt keinen Zweifel daran, dass auch die vermeintlich selbstlose Helferin gar nicht so selbstlos ist, wie sie es vielleicht gerne wäre. Die kunstvoll gearbeiteten Dialoge sind schonungslos, die beiden Sprecher, Inka Löwendorf und Felix Goeser, spiegeln die komplizierte Beziehung in all ihren Facetten. Ein Stück, das dazu einlädt, die eigenen Gewissheiten und Motive zu hinterfragen.
Woher kommen die Flüchtlinge? Und warum gibt es so viele Menschen, die in Afrika Wüsten durchqueren und schließlich auf seeuntauglichen Schiffen versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen? Mit dieser Frage befasst sich Martin Durm in dem Feature „Endstation Sahel?“ (SWR). Er erzählt von Ländern wie Sudan und Libyen, die nach langen Jahren des Bürgerkriegs so zerstört sind, dass viele dort nur noch weg wollen. Viele von ihnen sammeln sich im Tschad. Und Durm erzählt von Brüssel, wo Beamte der Europäischen Kommission versuchen, die Fluchtursachen zu bekämpfen und „Bleibeperspektiven“ für die Menschen in Afrika
zu schaffen.
Der große Exodus
Doch das Geld, das von der Europäischen Union in die afrikanischen Länder gelangt, verbessert die Lage der Menschen, die dort leben, nicht. Im Gegenteil, berichtet Durm: Der Tschad stand 2002 im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen noch auf Platz 167 von 188. Inzwischen ist das Land trotz aller Hilfen durch die EU, die sich auf Hunderte Millionen summieren, und trotz
aller Entwicklungsprojekte auf Platz 187 zurückgefallen. Nur Somalia ist noch ärmer als der Tschad.
Durm spricht im Tschad mit Mitarbeitern der Vereinten Nationen und mit jungen Männern, die Schreinern lernen, damit sie im Land eine „Bleibeperspektive“ haben, die aber doch nur von Europa träumen. Seine Berichte und O-Töne hat Maidon Bader kunstvoll mit minimal music und dezenter Atmosphäre zu einem stimmigen Ganzen verwebt. Zwischendurch streut Durm immer
wieder Zitate aus dem Essay „Die große Wanderung“ von Hans Magnus Enzensberger aus dem Jahr 1992 ein.
Die Jury war von der gelungenen Analyse der Ursachen für den großen Exodus beeindruckt: Geisendörfer-Preis für ein herausragendes Stück Radiojournalismus.
Der zweite Geisendörfer Preis in der Kategorie Hörfunk geht an das einzige Stück im Wettbewerb, das sich nicht mit dem Thema Flucht befasste. Die Autorinnen Christiane Hawranek und Nadine Ahr beschäftigen sich in dem Feature „Die gefallenen Mädchen“ (BR) mit einem nahezu vergessenen Kapitel Frauengeschichte der jüngeren Vergangenheit: Bis in die 1980er Jahre
wurden ledige und minderjährige Schwangere in Entbindungsheimen in Bayern versteckt, wo sie schließlich häufig gezwungen wurden, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Sie galten als Schande und wurden in vielen Heimen entsprechend behandelt.
Hawranek und Ahr gehen in dem Feature auch der Frage nach, ob diese zum Teil von Kirchen geführten Entbindungsheime sich womöglich an der Not der Frauen bereicherten und ein regelrechtes Adoptionsgeschäft daraus machten.
Die Frauen, mit denen sie sprachen, erinnern sich daran, wie sie den Boden in den Heimen putzen mussten und wie die Schwestern sie spüren ließen, dass sie „gesellschaftlicher Abschaum“ waren. Die beiden Autorinnen legen auch ihre Recherchewege offen. Gelungen ist ihnen ein beeindruckendes Stück über ein dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte
und die traurigen Folgen gesellschaftlicher Ächtung.
Thematische Vielfalt
In der Kategorie Fernsehen waren die von der Vorjury ausgewählten Stücke thematisch vielfältiger. Einem ganz ähnlichen Thema wie Martin Durm widmet sich die WDR-Redakteurin Shafagh Laghai in der Dokumentation „Grenzen dicht“. Sie reist entlang des Grenzwalls, den die Europäischen Union inzwischen mitten in Afrika aufgebaut hat. Ihre Reise beginnt in Mali, das als eines der wichtigsten Transitländer auf der Flucht nach Europa gilt. Die Bundeswehr soll hier auch dazu beitragen, Migration zu verhindern. Auch einige Flüchtlinge, die aus Europa abgeschoben wurden, sind hier gestrandet. Von ihren eigenen Familien werden sie verbannt, weil sie als Versager gelten. Und obwohl die Routen durch wieder, nach Europa zu kommen: „Europe ou rien“ ist ihre Devise.
Und auch hier findet sich wieder das Thema, dass die Europäische Union mit ihren Zuwendungen die Situation der Menschen in den Ländern eher verschlimmert. „Europa müsste aufhören, unsere Diktaturen zu finanzieren“, sagt ein Mann.
Der zweite Beitrag im Kontingent Fernsehen beschäftigte sich unmittelbar mit den Flüchtlingen, die auf dem Mittelmeer gerettet werden. Der italienischen Filmemacher Michele Cinque hat für die Dokumentation „Iuventa“ (3sat/ZDF) mehrere Missionen der Organisation „Jugend rettet“ begleitet, die seit Sommer 2016 mit der „Iuventa“ im Mittelmeer unterwegs war, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten.
Cinque hat gefilmt, wie sorgfältig die Missionen vorbereitet werden, um das Risiko möglichst klein zu halten. Der Filmemacher kommentiert nicht, er schaut zu und zeigt, wie viel Einsatz diejenigen bringen, die diese Missionen begleiten. Denn im Mittelpunkt steht die junge Crew, nicht die Flüchtlinge, die von der „Iuventa“ gerettet werden. Eine Dokumentation in bestem Sinne.
Inzwischen gibt es mehr Filme von Journalisten, die solche Einsätze begleitet haben, doch Cinque war einer der ersten, die das taten.
Um deutsch-deutsche Fluchtgeschichten ging es in dem Film „Kruso“ (ARD/MDR). Thomas Stuber hat den Roman von Lutz Seiler verfilmt, der in den letzten Monaten der DDR spielt. Die Insel Hiddensee wird immer wieder von Fluchtwilligen aufgesucht, die versuchen, von dort über
die Ostsee nach Dänemark zu gelangen. Im „Klausner“, einer Kneipe auf Hiddensee, hat sich eine verschworene Gemeinschaft gebildet, die versucht, Menschen von der Flucht abzuhalten und sie in ihre Gemeinschaft zu integrieren. Die kleine Gruppe hat für sich gewissermaßen die Utopie des Sozialismus verwirklicht, führt ein Leben voll Arbeit, Feiern und Solidarität. Im Mittelpunkt dieser Gruppe steht Alexander Krusowitsch, genannt Kruso (Albrecht Schuch), der für die Gestrandeten Unterkünfte auf der Insel organisiert und das Gemeinschaftsgefühl hochhält.
Im letzten Sommer der DDR geht es darum zu bleiben, nicht zu gehen. „Kruso“ ist nicht nur eine gelungene Literaturverfilmung, es ist auch ein Film, dem es gelingt, ein Stück Lebensgefühl aus der DDR zu vermitteln.
Genaue Studie
Drei weitere fiktionale Filme hatte die Vorjury in diesem Jahr weitergereicht, mit einem sehr breiten Themenspektrum. Der „Tatort: Im Toten Winkel“ (ARD/Radio Bremen) behandelte einmal mehr die schwierige Situation der Alten in einer Gesellschaft, die nicht auf Alter und Pflegebedürftigkeit eingestellt ist. Ein alter Mann tötet zuerst seine schwer pflegebedürftige Frau und schluckt anschließend selbst Tabletten, um zu sterben. „Es ging nicht mehr“ wird er später sagen. Denn da er nicht will, dass die Leichen von seiner Frau und ihm tagelang im Zimmer liegen, ruft er noch bei der Polizei an, bevor er seine Tabletten anfangen zu wirken, damit die das
alte Paar „aus der Wohnung holen“. Gegen seinen Willen wird er gerettet und überlebt. Die Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) nehmen die Ermittlungen auf. Dabei stoßen sie auf einen betrügerischen Pflegedienst, der Leistungen abrechnet, die er gar nicht erbracht hat.
Der „Tatort“ lieferte eine genaue Studie des Pflegenotstands, von den überforderten Angehörigen bis hin zu den alten Menschen, die sich die Pflege nicht mehr leisten können und ihren Angehörigen nicht zur Last fallen möchten (Buch: Katrin Bühlig). Stedefreund und Lürsen müssen erkennen, dass es hier weniger um gute und böse Absichten geht, sondern vielmehr um Verzweiflung und Leid. Das Thema Gerechtigkeit zwischen den Generationen hat der Film auf bedrückende Weise vermittelt.
Im Film „Rufmord“ (Arte/ZDF) wird eine junge Grundschullehrerin Opfer eine Cyberattacke. Im Internet werden Nacktfotos von ihr veröffentlicht und per Mail weiterverbreitet. Die Lehrerin Luisa (Rosalie Thomass) hat die Vermutung, dass ein Vater dahintersteckt, der sie gebeten hatte, seinen Sohn trotz mangelhafter Leistung für das Gymnasium zu empfehlen. Obwohl sie ihm nichts nachweisen kann, will sie ihn verklagen. Da der Vater, Georg Bär (Johann von Bülow), in dem kleinen Ort ein einflussreicher Mann ist und die Schule mit großzügigen Spenden unterstützt, gehen Nachbarn und Kolleginnen zunehmend auf Distanz zu Luisa. Sie leidet sehr unter der Isolierung, wird depressiv. Eines Tages wird sie vermisst, ihre Kleidung wird an einem See gefunden. Zunächst deutet einiges auf einen Selbstmord hin, doch die Polizei findet in ihrer Wohnung Blut und weitere Indizien für ein Verbrechen.
Tauziehen um ein Kind
Der Film von Regisseurin Viviane Andereggen ist ein spannender Psychothriller, der die Wirkung von Mobbing überzeugend in Szene setzt. Es ist aber auch ein Film über eine gelungene Rache und kam daher nach Meinung der Jury nicht für einen Geisendörfer-Preis infrage.
Um strittige Rechtsfragen ging es in dem Film „Unser Kind“ (ARD/WDR), in dem Susanne Wolff eine Frau spielt, der nach dem Tod ihrer Partnerin das Sorgerecht an dem Kind der beiden entzogen wird. Sie ist zwar Vormund des kleinen Franz, das Sorgerecht hat sie aber nicht. Von dieser Ungleichbehandlung von homosexuellen Partnerschaften erzählt Nana Neul in einem bewegenden Film, der von der überragenden Darstellung von Susanne Wolff und Britta Hammelstein getragen wird. Das Tauziehen um das Kind, auf das sowohl die Großeltern als auch der biologische Vater plötzlich Ansprüche erheben, ist berührend dargestellt.
Einer der außergewöhnlichsten Filme des vergangenen Fernsehjahrs war „Kulenkampffs Schuhe“ (ARD/SWR) von Regina Schilling. Diese Studie der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 60er Jahre im Spiegel ihrer Fernsehshows war in vielerlei Hinsicht gelungen. Anhand von privaten Super-8-Filmen und Fernsehdokumenten der damaligen Zeit erzählt Schilling die Geschichte der Generation ihres Vaters: Junge Männer, die in der Regel traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt waren, aber kaum darüber sprachen. Stattdessen arbeiten sie hart und trugen so ihren Teil zum Wirtschaftswunder bei. Der Film, der anhand einer persönlichen Geschichte von der ganzen Gesellschaft erzählt, ist bereits mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden.
Besondere Begabungen
Die einzige Einreichung eines Privatsenders, die in die Endauswahl gelangte, war „Ich, einfach unvermittelbar“ (Vox). In dieser Sendung werden Menschen mit Autismus oder Tourette, die normalerweise auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, an Unternehmen vermittelt, die
genau die besonderen Begabungen dieser Menschen brauchen können. Die Jury fand die Show im Ansatz interessant, hatte aber Zweifel daran, dass die Menschen, um die es hier ging, ohne Fernsehsender im Hintergrund tatsächlich genommen worden wären.
Auf den ersten Blick wirkt die junge Jura-Studentin Mara wie ein Mädchen wie viele andere. Wäre da nicht der Assistenzhund, der sie überall hinbegleitet. Mara ist erblindet, führt aber in Marburg dank ihres Hundes ein relativ selbstständiges Leben. Sobo Swobodnik hat das Porträt von Mara für die Reihe „Ab 18!“ bei 3sat gedreht. „See you“ erzählt nicht nur erstaunlich nah von Mara, der
Film gibt den Zuschauern durch seine filmästhetischen Mittel auch einen kleinen Eindruck davon, wie Mara die Welt um sich herum wahrnimmt. Das Sounddesign unterstreicht die Bedeutung der akustischen Umwelt. Die Jury sprach dem mitreißenden Porträt einer jungen, lebenslustigen Frau den Geisendörferpreis zu.
Ausdrücklich würdigt die Jury mit dem Preis auch die Arbeit der Redakteurin Katya Mader, die die herausragende Reihe „Ab 18!“ bei 3sat betreut.
Ost und West
Ähnlich mitreißend war die Rückkehr der Reporterin Birgit Wärnke in ihr Heimatdorf Groß Kreutz in Brandenburg. Für die Reihe „Panorama: Die Reporter“ sprach die Reporterin mit der Herrenrunde, mit der sich ihr Vater einmal in der Woche trifft, mit alten Schulkollegen und auch mit ihrer früheren Deutschlehrerin. Ihr Motiv: Sie wollte wissen, was die Menschen im Osten so
aufbringt, dass sie laut „Merkel, hau ab!“ rufen, wenn die Bundeskanzlerin auf dem Marktplatz erscheint.
Wärnke stellt fest, dass viele den Zusammenhalt vermissen, den es früher gegeben hat. Ausländerfeindlich seien sie nicht, nein, aber „flüchtlingsskeptisch“, sagt ihr ein Mann. Die ehemalige Deutschlehrerin stellt fest, Osten und Westen, das sei immer noch in den Köpfen
vieler Menschen in Groß Kreutz. Sie würden die AfD wählen, um Merkel zu ärgern.
Hier überzeugte die Jury die frische Herangehensweise der Reporterin. Sie findet leicht Zugang zu den Menschen, fragt interessiert und präzise, versucht nicht, ihre Gegenüber in irgendwelche Schubladen einzusortieren. Es ist eine Reportage, die Antworten sucht auf die Frage: Was macht die Menschen so wütend? Geisendörfer-Preis also für ein Paradebeispiel für die hohe Kunst der
Reportage.