Laudatio 2012

Laudatio von Gemma Pörzgen auf Ashwin Raman, Krisenreporter und Dokumentarfilmer
 

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Gemma Pörzgen (Laudatorin für Ashwin Raman)

Lieber Ashwin Raman,
wir haben eben ein paar Bilder aus Ihren Fernseh-Reportagen gesehen. Sie unterscheiden sich deutlich von dem, was für gewöhnlich über unseren Bildschirm flimmert. Ihre Dokumentationen führen uns an die gefährlichsten Orte dieser Welt, sei es Irak, Afghanistan oder Somalia – alles Länder, die auch für uns bei „Reporter ohne Grenzen“ stark im Fokus stehen.

Erlauben Sie mir, dass ich noch einmal uns allen zur Erinnerung Ihren Lebensweg skizziere:
Sie wurden 1946 in Indien geboren und wuchsen dort auf. Ihr Vater war zunächst Diplomat, dann Journalist, sodass dieser Beruf auch für Sie prägend wurde. Nach dem Studium der Literaturwissenschaften arbeiteten Sie als junger Reporter für die „Times of India“. Als Sie 1975 die Regierungszensur unterliefen, landeten Sie im Gefängnis. Amnesty International setzte sich für Sie ein und holte Sie nach Deutschland, wo Sie zunächst auf Englisch für den „Spiegel“ schrieben. Es folgten viele Jahre als schreibender Journalist mit zahlreichen Auslandseinsätzen, so auch in Nicaragua während des Bürgerkrieges. Damals kauften Sie die erste 16 mm Kamera und drehten in Eigenregie einen Nicaragua-Film, der auch im deutschen Fernsehen lief. Seit 1979 leben sie mit ihrer Familie in Deutschland und haben sich immer stärker auf Dokumentarfilme spezialisiert.

Von ihrem letzten Film „Im Land der Piraten“, der Ende August in der ARD lief, sagen Sie selbst, dass es der gefährlichste Film Ihres Lebens war. Sie waren dort mit 20 somalischen Bobyguards unterwegs, die sich alle mit Maschinengewehren und Patronenhülsen behängten und mit Kath aufputschten – nur so ist die Recherche im Land möglich. Sie waren, wie üblich, als „One-Man-Team“ unterwegs, allein mit der kleinen, digitalen Kamera. Warum nimmt man solche Wagnisse auf sich?

Wer Ihre Filme über die Jahre verfolgt und mit Ihnen spricht, weiß, dass es nicht vor allem der Kitzel der Gefahr ist, die Sucht nach Extremsituationen, die Sie antreibt. Vielmehr sind Sie mit vollem Herzen ein Journalist und Dokumentarfilmer, der weiß, wie wichtig es ist, gerade an vergessenen Orten dieser Welt, Zeuge des Geschehens zu sein und von dem Leben im Krieg zu berichten.

Sie sind einer der wenigen Kollegen, der Afghanistan schon während der sowjetischen Besatzung bereiste, das Land unter der Herrschaft der Taliban erlebte und auch den Nato-Einsatz seit Jahren vor Ort verfolgt. Dabei nehmen Sie nicht, wie leider in Deutschland meist üblich, nur die Perspektive der Bundeswehr ein, sondern zeichnen ein vielschichtiges, realistisches Bild der Lage. Sie reisen monatelang, mischen sich unter die Leute und verfügen nach Jahrzehnten der Berichterstattung über einzigartige Kontakte. Als Journalist, der in Deutschland und Indien zu Hause ist und aus unzähligen Ländern berichtet hat, haben sie einen erweiterten Blick. In ihren Filmen gibt es deshalb keine einfachen Antworten. Als Zuschauer spürt man das und vertraut Ihrer Erzählung.

Die technische Entwicklung hat es Ihnen immer leichter gemacht, alleine zu reisen, ohne Team. Heute drehen Sie mit kleiner Digitalkamera oder noch unauffälliger zeitweise mit dem Mobiltelefon. Diese Arbeitsweise verschafft den Filmen ihre eigenwillige Intensität. Sie sind immer sehr nah dran, die Aufnahmen wirken manchmal verwackelt, die Bildästhetik bleibt eher rau, der Ton manchmal verrauscht. Gerade das macht die Bilder so authentisch. Im Mittelpunkt Ihrer Filme stehen immer die Menschen, denen Sie viel Zeit widmen und sie zum Sprechen bringen. Dabei spielt keine Rolle, ob es sich um Vertreter der Staatsmacht handelt, militante Kämpfer oder Kinder – alle erscheinen gleichberechtigt und kommen mit ihrer Perspektive vor. Sie arbeiten nicht als glatter Profi, der sich vor allem auf die Bedürfnisse der Sender einstellt, sondern es ist diese sehr eigene Handschrift, die Ihre Filme prägt.

Seit einigen Jahren haben Sie das Glück im SWR Mainz einen Heimatsender gefunden zu haben, der Sie bei Ihren Vorhaben unterstützt und sich auf Ihre Eigenwilligkeit einlässt. Das ist für den Zuschauer ein großer Gewinn. Denn auch Sie kennen das Leid aller Dokumentarfilmer, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk um die spärlichen Sendeplätze kämpfen. Da ist man schon froh, wenn der „Somalia“-Film, für den Sie ihr Leben riskiert haben, nicht erst nach Mitternacht läuft, sondern am Montag um 22 Uhr 45.

Wenn die Jury des Robert Geisendörfer Preises heute Ihr Lebenswerk mit dem Sonderpreis ehrt, sollte das auch eine dringende Mahnung sein, mutigen, eigenwilligen Filmemachern wie Ihnen auch im Alltag des Fernsehgeschäfts viel mehr Raum und prominentere Sendeplätze zu überlassen. Ihr herausragender Film „Im Land der Piraten“ hatte trotz der späten Stunde eine gute Einschaltquote von 10,5 Prozent. Solche Beispiele zeigen, dass die Zuschauer anspruchsvoller sind, als die Programmplaner häufig glauben.