Dr. Ulrich Fischer, Landesbischof und Jury-Vorsitzender, anläßlich der 20. Verleihung des Robert Geisendörfer Preises
Wenn unsere Geschäftsstelle die Einladung zur Verleihung des Geisendörfer Preises an die Sender verschickt und die Preisträgerinnen und Preisträger anruft, um ihnen die Entscheidung der Jury mitzuteilen, dann kommt nach der ersten Freude bei ehrlichen Leuten häufig die etwas verlegene Frage: Wer war eigentlich Geisendörfer? Noch vor 20 Jahren hätte kein Intendantenreferent, kein Abteilungsleiter, kein Programmplaner diese Frage gestellt. Kirchenrat Robert Geisendörfer, der auf den Tag genau heute 93 Jahre alt geworden wäre, war allseits bekannt. Man kannte die etwas massige bayerische Gestalt mit der eindrucksvoll hervorspringenden Nase und den hellwachen Augen. Man kannte seine unvermittelte Art, ein Telefonat für beendet zu erklären, indem er einfach den Hörer auflegte. Man kannte seine rauhe Herzlichkeit, seine instinktiven schnellen Entscheidungen, seine Durchsetzungsfähigkeit und seinen unbändigen Drang nach Unabhängigkeit, der sich dadurch auszeichnete, dass er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch seine Familie oft darüber im Unklaren ließ, wann er wo auftauchen, mit welchem Zuge er reisen und wann er wo erreichbar sein würde. Geisendörfer wäre heute sicher kein Handybesitzer. Er brauchte seine Freiheit in Raum und Zeit, damit er so kreativ und effektiv wirken konnte, wie er es tat. Und die Zeiten, in denen er die evangelische Publizistik aufbaute und gestaltete, sie spielten für ihn und mit ihm.
Robert Geisendörfer war Pfarrer der bayerischen Landeskirche und hat sich sehr früh für die Medienarbeit der Kirche engagiert. Er ahnte, welche Bedeutung Medien für die Menschen haben würden. Und so war Geisendörfer dabei, als sich erste Strukturen der Mediengesellschaft in Deutschland abzuzeichnen begannen, und er arbeitete daran, dass die deutschen Medienvertreter international wieder akzeptiert wurden. Er war dabei in seiner Funktion als Direktor des Evangelischen Presseverbands, als nach dem Krieg die Sonntagsblätter lizensiert wurden und allmählich der Evangelische Pressedienst mit seiner ausdifferenzierten Regionalstruktur entstand. Er war dabei als Rundfunkbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufgebaut und die gemeinsamen Kommissionen zwischen Kirche und ARD gegründet wurden. Die ersten Gottesdienstübertragungen, das „Wort zum Sonntag“: Geisendörfer gehörte zu den Erfindern und Ermöglichern. Er mischte sich ein in die Rundfunkpolitik und prägte mit anderen den Geist des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und der Höhepunkt seiner Aufbautätigkeit war die Gründung des GEP, des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, in dem Robert Geisendörfer die evangelische Medienarbeit konzentrierte und vor allem eine Art Think-tank, eine Art Zukunftswerkstatt der Publizistik installierte. Er hatte dabei sowohl die Begabung der Organisation, und es lag ihm daran, kritische und intelligente Leute um sich zu scharen.
Die Freiheit der Journalisten von ihrem Gegenstand, das war sein Lebensthema. Seine Generation hatte die Propaganda des Naziregimes im Rücken, die Manipulation der Massen durch regierungsabhängige Medien. Seine Generation wusste: Zeitung, Rundfunk und Fernsehen werden gefährlich und langweilig, wenn sie nicht den Streit der Meinungen, den offenen Diskurs in einer pluralen Gesellschaft abbilden. Und wir bekommen heute eine Ahnung davon, wie wichtig unabhängige Medien sind, wenn wir zum Beispiel in die Medienlandschaft Italiens blicken oder auch die Berichterstattung des Fernsehens über den Irakkrieg analysieren.
Freiheit von den Institutionen und Regierungen. Mit diesem Credo konnte Geisendörfer beißend die Einmischung der Politik ins Programm oder in die Stellenbesetzungen kommentieren. Die Kirche solle die Gesellschaft zu ihrer eigenen Sache machen, meinte er. „Durch Information, durch Meinungsäußerung, durch Orientierung, durch Kritik arbeiten wir an der menschlichen Freiheit mit“, formulierte er. Und die Freiheit, von der Geisendörfer sprach, war eine Freiheit zur Anwaltschaft: Die Freiheit einzutreten für die Schwachen, die Vergessenen, die Übersehenen. Bert Brecht hat ja unvergesslich das Prinzip der heutigen Mediengesellschaft vorweggenommen: „Denn man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ So schrieb Brecht. Geisendörfer wollte Licht ins Dunkel bringen. Licht ins Dunkel bringen: das will der Geisendörfer Preis auch.
Kirche und Rundfunk – eine kreative Partnerschaft
Abneigung gegen Abhängigkeiten – Erinnerungen an Robert Geisendörfer