Isabell Šuba und Catalina Flórez erhalten den Sonderpreis 2023 für das Mentoring-Programm „Into the Wild“. Die Laudatio für den Sonderpreis hält die Regisseurin Annette Ernst.
„Into the wild“ – mein erster Gedanke: der Spielfilm aus dem Jahr 2007 von Sean Penn. Ein genialer, aber auch trauriger Film, in dem ein ziemlich mutiger Held sich ganz allein in die Wildnis Alaskas begibt und in Ermangelung von Überlebens-Tools am Ende stirbt.
Auch Isabell Šubas Bilder, die Initiatorin des Programms, dass heute mit dem Sonderpreis der Jury des Geißendörfer Preises ausgezeichnet wird, sind drastisch: „Die Hochschule ist quasi sowas wie eine Utopie und dann kommt man raus und hat als Frau nur wahnsinnig geringe Chancen zu überleben. Und dann war es mir klar: Wenn du überleben willst, musst du deine Machete rausholen und in den Dschungel gehen.“
Mit „into the wild“ hat sie etwas geschaffen, das sie sich selbst gewünscht hätte. Ein Programm, dass beim Überleben in der Branche hilft. Das jungen Regisseurinnen nach der Filmschule an die Hand gibt, was es braucht, um sich im Film-Dschungel zurecht zu finden. Wenn im Dickicht kein Weg zu sein scheint, das Wasser ausgeht, die Kräfte schwinden und das Team scheinbar irgendwo verloren gegangen ist. Kontakte, Netzwerke, Hilfe zur emotionalen Stabilisierung und Stärkung der eigenen Persönlichkeit. Ein Programm, das nicht weniger will als „das System“ zu verändern. Eines, das noch immer patriarchalisch geprägt ist. Die Macherinnen haben große Ziele und formulieren, dass es letztlich darum geht „die deutsche Filmindustrie zu revolutionieren!“ Regie führen ist für mich – trotz allem – der schönste Beruf der Welt. Wo sonst kann man verrückte Geschichten erzählen, neue Bilder und Ideen in die Welt setzen, Menschen zum Lachen und Weinen bringen? Und, den digitalen Möglichkeiten sei Dank, auch Zuschauer in einer Jurte Kirgisiens erreichen.
Aber es gibt wohl wenige Professionen, in denen man nach der grünen Wiese vor der Hochschule, wo man gerade noch einander geduldig die Tonangel gehalten hat, plötzlich 30 - 50 oder auch 150 Menschen gegenüber steht, deren Chefin man über Nacht ist. Und alle wollen von Dir wissen wie es geht? In dieser neuen Wildnis spielt Geld eine riesige Rolle. Für die Regie gemessen in Drehtagen, die einem zu Verfügung stehen um seine Geschichte in Bildern zu erzählen. Mein erster Film hatte davon 31, mein letzter 21. Arbeitsverdichtung nennen Wissenschaftler das. Wir alle, die Männer auch, müssen unter gewaltigem Zeitdruck mindestens die gleiche Leistung herstellen.
Und wie schafft Frau es unter diesem Druck ihren eigenen künstlerischen Zugang zum Projekt zu behalten, wenn plötzlich jede Menge Leute mitreden und vor allem mitentscheiden? Da braucht es nicht nur künstlerische Souveränität, sondern auch Strategie, Taktik, Durchsetzungsvermögen, Handwerk und jede Form von Coaching, die man kriegen kann.
Das hätte ich bei meinem Debüt auch gebraucht. Vielleicht wäre ich dann nicht kurz vor der 1.Klappe einfach wieder nach Hause gefahren, weil mir jetzt auch noch die Kostümabnahme unmöglich erschien. Ich war ziemlich allein und eine Machete hat ich auch nicht.
Die Anfänge des Projekts stammen aus 2015. Ein Jahr vorher sind Isabell und ich uns auch das erste Mal begegnet. Es war die Zeit der Gründung von „Pro Quote Regie“.
„Männer zeigen Filme, Frauen ihre Brüste“
Ist der phantastische Titel eines Films, den Isabell in Form eine Mockumentarys in Cannes gedreht hat und eine recht präzise Zustandsbeschreibung der Filmwelt auf den Festivals zu dieser Zeit. 2012 gab es – mal wieder – keine einzige Regisseurin im Wettbewerb. 2013 stand in der „Blackbox“ jener Artikel, der bei mir und Kathrin Feistl den Anstoß gab, Pro Quote Regie mit weiteren 10 Kolleginnen ins Leben zu rufen.
6,5 Millionen € Förderung hatte eine große Filmförderung verteilt, kein einziger Euro für eine Regisseurin war dabei. Es existierten keinerlei verlässliche Zahlen, wie viele Filme von Männern und wie viele von Frauen überhaupt gedreht werden? Die ersten haben wir nachts im Internet, Sender um Sender zusammengesucht. Die Zahlen waren nicht nur für uns erschütternd.
Nur 11 Prozent aller Filme wurden von Frauen gedreht, den Rest haben die Kerle bekommen. Und es geht ja dabei nicht nur um die Verteilung unserer Steuergelder. Es geht auch um die dadurch zu 89 % männlich geprägten Bilder, die in die Welt gesendet werden.
Auch wenn knapp zehn Jahre später tatsächlich ca. 38 % Frauen bei Filmen Regie führen und ungefähr die Hälfte aller Filmhochschulabgängerinnen weiblich ist, das Ziel ist erst erreicht, wenn uns der halbe Himmel gehört und die dazugehörigen Budgets auch.
„Was den meisten Heldenreisen fehlt ist die Heldin“
Was Isabell Šuba auszeichnet, ist ihr Mut, ihre Frechheit, ihre Ausdauer, ihr Durchhaltevermögen, ihre Originalität und das ganze garniert sie noch mit einer Prise Humor, Charme und viel Überzeugungskraft.
Fast zwei Jahre hat es gebraucht „into the wild“ auf die Beine zu stellen, die richtigen Partner zu finden und verbindlich einzubinden. Heute sind alle großen deutschen Filmschulen dabei. Sie hat es auch geschafft, fast alle großen Länderförderer in die Finanzierung einzubinden. Chapeau!
Die Liste der Mentoren, des seit 2017 alle drei Jahre stattfindenden Programms liest sich wie das „who is who“ des deutschen Films. Es bewerben sich pro Durchgang über 100 angehende Regisseurinnen, ca. 16 von ihnen werden ein Jahr lang mit einem Projekt intensiv begleitet und bekommen eine professionelle Mentorin aus der Praxis an die Seite gestellt.
Die Mentees bahnen sich – hoffentlich unaufhaltsam – ihren Weg in die Branche. Tatorte werden von ihnen gedreht und helfen dabei die wirklich armselige Regiequote dort von ehemals 6 % (2013) auf fast 38% (2023) in ungeahnte Höhen zutreiben. Aber auch mit Kinofilmen, TV-Filmen und Serien sind sie am Start.
„Umgib Dich mit Frauen, die Deinen Namen in einem Raum voller Möglichkeiten nennen“.
Ein Zitat der jungen Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran, zu lesen auf der Website von „Into the wild“. Genau darum geht’s – Banden bilden, solidarisch sein, sich Dinge zuschieben. Das anwenden, worin uns Männer ein paar Tausende Jahre voraus sind.
Längst wuppt Isabell das nicht mehr allein. Mit ausgezeichnet wird heute auch die Koordinatorin des Programms Catalina Florez, auch eine Filmemacherin. Aber der Preis geht auch an all die anderen Frauen, die bei der Auswahl, lehrend, gestaltend, dramaturgisch und organisatorisch helfen einen Jahrgang sicher durch die Wildnis zu führen. Ein Programm, dass nicht nur den Umgang mit der Machete lehrt, sondern auch sich untereinander zu helfen die Spuren im Dschungel besser lesen zu können, um tolle Filme zu machen. Inzwischen ein gewaltiges Netzwerk von fast 400 Frauen entstanden.
„Kann man mit Tampons Filme drehen? In der Regel schon.“
Ich erlebe diese nächste Generation von Filmemacher*innen als eine, die es mutiger, direkter und frecher angeht. Die sich selbstverständlich und selbstbewusst nimmt, was ihr ohne Frage zusteht.
Das macht Mut.
Aber die Zeiten sind kompliziert. Krieg in Europa, Populisten und Faschisten europaweit nicht nur im Umfragehoch und eine Welt, die sich bedächtig das Artensterben und den Klimawandel betrachtet.
Das macht Angst.
Und just in diesem Moment, kommt der Werbefilm von Mattel: Barbie. Der dann als feministischer Film positioniert wird? Weil Greta Gerwig ihn gedreht hat? Magersüchtige Püppchen aus dem letzten Jahrhundert als „role-model“ für die Frauen der Generation Z? Unglaublich!
“Trigger Warning- This Mentoring program may contain unlikable female Protagonists.”
Auch in den Communities müssen wir vorsichtiger sein. Als ich mit meiner über zwölf Jahre gedrehten Dokumentation über zwei lesbische Mütter und ihre drei Söhne auf Kinotour war, wurde bemängelt, dass es eine „Triggerwarnung“ im Vorspann geben sollte. Warum? Weil der Film Szenen enthielte, die queere Menschen verletzen könnten. Wird die Welt besser, wenn wir „eine Triggerwarnung“ voranstellen? Weil noch immer die Mehrheit der Bevölkerung nichts von lesbischen Eltern hält? Von da, zur Frage ob ich als Heterofrau überhaupt einen Film über eine lesbische Familie drehen darf, ist kurz.
Wir müssen achtsam bleiben. So wie in der Wildnis, kommen die Bedrohungen überraschend und Erreichtes muss immer wieder verteidigt werden. Das haben auch die Generationen Filme machender Frauen vor uns erlebt.
„Frauen von heute warten nicht auf das Wunderbare, sie inszenieren ihre Wunder selbst.“ hat schon Katharine Hepburn gesagt. So hat im vergangenen Jahr eine Regisseurin mit kleinem Kind durchgesetzt, dass die Serie, die sie dreht als 4 Dreh-Tage-Woche konzipiert wurde.Prima! Darum die Finanzierung für einen Film mit drei Frauen Mitte sechzig bis Mitte siebzig durchzusetzen, bei dem es auch um Sex geht, kämpfe ich noch.
„Bei Figurproblemen spreche ich mit meiner Dramaturgin.“
Genau.
Und was will die Preisträgerin noch so? Eine Akademie vielleicht, sagt Isabell. Mindset verändern - Bewusstsein wandeln - Selbstermächtigung. Ein solches Programm sollten eigentlich alle Frauen haben, die in der Wildnis ihren ersten Langfilm drehen.
Isabell wird weiter Filme machen und das ist auch gut so. Für die Regie bei der Netflix-Serie „King of Stonks“ hat sie letzte Woche den deutschen Fernsehpreis bekommen. Toll, dass die Jury des Geißendörfer Preises, sich bei der Auswahl für den Sonderpreis dieses Jahr ganz bewusst für etwas entschieden hat, dass kein Lebenswerk ist. Sondern letztlich Frauen auszeichnet, die auf dem Weg zum Höhepunkt ihres beruflichen Schaffens sind und anderen dabei helfen, ihre Filmspuren im Dschungel des Lebens zu hinterlassen.
Und um es mit Coco Chanel noch einmal deutlich zu sagen: „Der mutigste Akt ist immer noch, selbst zu denken. Und zwar laut.“
Annette Ernst, Oktober 2023