Eva Demski, freie Journalistin und Autorin: Laudatio auf die Sonderpreisträger Mischka Popp und Thomas Bergmann
Meine sehr verehrten Damen und Herren –
Liebe Mischka, lieber Thomas –
Daß Ihr einen Preis, diesen Preis bekommt, ist gut und wichtig. Weniger für Euch, denn Genugtuungen dieser Art sind zwar schön, halten den Stürmen des Alltags aber nur kurz stand. Der Preis ist wichtig für andere: Für die, die noch nicht zu Eurem Publikum gehören und durch ihn die Chance bekommen, zu erfahren, daß es Euch gibt. Die Dramen, die Ihr seit Jahren aufspürt und erzählt, und die ihr grade bei denen findet, die das Dramatische gar nicht für sich in Anspruch nehmen – es sind Geschichten von uns allen. Also müssen wir alle sie sehen und nicht nur die Schlaflosen.
Erinnert Euch, wie oft wir über unsere Saurierexistenz gelacht und geseufzt haben. Doku ohne soap, eine scheinbar so unaufhaltsam aussterbende Kunst wie Lettern gießen oder Feuervergolden. Nur: Jeder, der mal einen Eurer tückisch sanften, trügerisch stillen Filme gesehen hat, begreift: Da wird seine Sache verhandelt, auch wenn es um sehr Fremdes geht. Eure Filme lehren uns die Menschenfamilie kennen, unsere Familie, mit all ihren Merkwürdigkeiten, die aber eines nie sind: Skurril.
Das haben mir das Leben und Eure Filme beigebracht: Menschen sind nicht skurril. Sie sind seltsam, unbegreiflich, rührend oder unheimlich, töricht, versperrt oder liebenswürdig und sonst noch tausenderlei, dem Ihr nachgespürt habt: Aber niemals skurril. Die Menschenmonstrositäten, die uns in den Dokusoaps zum allgemeinen Gegrusel und anschließendem Selbstüberschätzen vorgeworfen werden, gibt es in Wahrheit gar nicht. Sie sind nur die Ausgeburt jenes armseligen Zynismus, der sich hinter dem Begriff Spaßgesellschaft verbirgt. Spaßgesellschaft heißt öffentliches Gedemütigtwerden, dabei so abscheulich wie möglich aussehen - und anschließende Einsamkeit.
Die Menschen, die in Euren Filmen auftreten, mit denen wir, Euer Publikum, Zeit verbringen (die uns meistens zu kurz erscheint) und die danach wieder aus unserem Leben verschwinden, lassen uns mit Gefühlen zurück. Diese Gefühle bleiben bestehen, manchmal jahrelang. Die Frau, die lebensgroße Ponies gestrickt hat. Das Liebespaar mit den Taucheranzügen. Das engelhafte Mädchen aus „Kopfleuchten“ mit dem zerlöcherten Gedächtnis und der unvergeßlichen Stimme.
Nur vordergründig scheint es, als wende sich Eure Aufmerksamkeit vor allem jenen zu, die ein bißchen schief ins Leben gebaut sind. Das stimmt aber nur zum Teil: Vielmehr gibt es offenbar bei Euch immer wieder einen Moment, in dem Euch etwas auffällt, nicht losläßt, Ihr zieht Fragen aus dem Mund wie ein Zauberer Fähnchen, immer mehr – und dann wird aus all den Fragen ein Film. (So einfach geht’s natürlich nicht, davor hat das Schicksal obstinate Redaktionen, explodierende Kosten, widerständige Programmplaner, das vermeintlich desinteressierte Publikum und was nicht noch alles gesetzt). Dennoch: Die Keimzelle ist da. Ich habe oft überlegt, woraus sie wirklich besteht, und ich denke, es sind die Versuchsanordnungen, die den Menschen von wem auch immer zugemutet werden, und denen Ihr auf die Schliche kommen wollt. Es tut mir leid, daß ich grade hier, unter zweifachem Druck (nämlich Bayern UND Diaspora !) diesen verwaschen-agnostischen Ausdruck von wem auch immer benütze. Ich könnte : Gottes Versuchsanordnungen sagen, denen die Menschen unterzogen werden und die Ihr filmend beobachtet – aber vielleicht wäre das ein bißchen ketzerisch. Denn der Gedanke, man schaue da einer Schicksalhaftigkeit zu, für die die Handelnden gar nichts können, beschleicht mich sachte in fast allen Euren Filmen.
Aber nicht bewußtlose Marionetten sind es, die Ihr uns zeigt, das wäre ein fatales Mißverständnis: Sondern Leute wie wir alle, denen etwas widerfährt – eine Krankheit, eine Liebe, ein Zorn oder einfach das Alter – etwas, das eben für jeden von uns vorrätig ist. Deswegen hat zwar das Gelächter durchaus Platz in Euren Filmen, die Häme aber, sollte sie sich einmal hervorwagen, bleibt uns Zuschauern schnell im Hals stecken.
Was braucht man, um sich immer wieder neu und neugierig Menschenfragen zuzuwenden? Einfacher ist aufzuzählen, was man gewiß nicht braucht: Pädagogik, zum Beispiel. Die ist ja dafür verantwortlich, daß dem Dokumentarfilm so schwer aus dem Schatten seiner Hochblüte findet. Nein, das ist kein Widerspruch: Die erfolgreiche Zeit des Dokumentarfilms in den Siebzigern und frühen Achtzigern ist verantwortlich für das Mißtrauen, das dieser Form entgegenschlägt: Zu viele Filme wollten damals erziehen. Menschen wollen aber nicht erzogen werden, sondern entzückt oder erschüttert. Das Duo Bergmann – Popp hat das offenbar schon früh gewußt, und wenn man sich ihre Filme in chronologischer Reihe vergegenwärtigt ( was erstaunlich gut funktioniert ) , dann merkt man: Keine Wertung! Kein Ich-sage Euch-was- ihr- zu-denken habt, da soll weder mein Empörungspotential noch meine weltanschauliche Makellosigkeit abgerufen werden – da sagt nur jemand mit unerschütterlich sanfter Stimme: Schauen Sie mal! Ist es nicht erstaunlich? Könnte Ihnen und mir das nicht auch passieren? Und dann sagt die gleiche Stimme: Überlegen Sie mal! Was wäre, wenn…? Bergmann Popp machen Was wäre, wenn…-Filme, das ist das Verführerische.
Das Fernsehen lebt mehr und mehr von So ist es – Filmen. Früher hieß das mal affirmativ. Deswegen hat die leise Kunst, für die diese beiden Leute heute ausgezeichnet werden, einen schwierigen Stand. Man geht aus ihren Filmen mit unsicheren Schritten wieder hinaus, auf dem Boden rings um uns Zuschauer herum liegen eine Menge abgefallene Vorurteile und unbrauchbar gewordene Meinungen. Nicht, daß wir absichtsvoll verstört worden wären, das kennen wir von den Medien mittlerweile zu gut, auf diesen Leim gehen wir nicht mehr. Mit grobem optischem und akustischem Rüstzeug niedergeschmettert und sprachlos gemacht zu werden, führt nur zu schnellem Hornhautwachstum auf der Seele. Das ist traurig, aber eine medizinisch vorhersehbare Folge.
Die Filme, über die wir heute reden, mit ihren einfachen Titeln wie Herzfeuer oder Kopfleuchten hinterlassen kleine Schürfwunden im Gemüt, fast unsichtbar, aber hartnäckig spürbar. Ganz sachte verrücken sie unsere Sicht aufs Leben, bringen uns in eine leichte Schräglage und legen ziemlich viel weggepacktes Mitgefühl frei. Eine ziemlich altmodische Tugend, die nur deswegen eine Chance hat, weil man an die Wirklichkeit dieser Filme glaubt. Ihre Menschen sind wahr, ihre Irritationen, Katastrophen und Glücksmomente sind es auch. Niemand von uns hat je daran geglaubt, daß es die Leute im Big brother-Container wirklich gibt, und es gibt sie ja auch nicht. Genau wie Selbstmordattentate, einstürzende Türme oder Bambi-Verleihungen. Das alles ist nicht wirklich wirklich, es sieht nicht wirklich aus, niemand spricht wie ein wirkliches Wesen oder bewegt sich so, die farbigen Schatten an der Wand machen einem nur was vor. Deswegen kann man sich ziemlich viel Unaussprechliches vom Leibe halten: Weil es einem gelogen vorkommt, je sicherer und lauter es daherkommt. Ganz seltsam ist: Andauernd äußert sich in den Medien jemand zu etwas, wovon er nichts versteht. an bedient sich aus gewissen Wortschachteln, deren Inhalt jeder kennt und über die niemand mehr nachdenkt. Und dann äußern sich Menschen in Euren Filmen, auch sie verstehen manchmal nichts von dem, was ihnen geschehen ist, es ist viel zu groß und zu angsteinflößend, dieses Geschehene – aber sie finden eine Sprache für sich und damit für uns, eine authentische, ungeschützte und wahre Sprache. Manchmal ist die komisch, manchmal sehr poetisch oder ungelenk, aber niemand käme auf die Idee, das Gesagte für unwahr zu halten.
Film ist ja immer auch Sprache. Es ist schön zu sehen, wenn jemand das weiß und respektiert. Und sich vor Fischzügen im Meer der Literatur nicht fürchtet. Dazu muß man es natürlich ein bißchen kennen, dieses Meer. Auch das ist ungewöhnlich in Zeiten der Verlautbarungs- und Thesensprache.
Also – Pädagogik: Keine. Neugier: Viel. Abenteuerlust: Auch viel. Natürlich muß man mutig sein, wenn man über seltsame Spielarten der Liebe einen Film wie Herzfeuer macht. Wenn man den Film dann angesehen hatte, wollte einem das Wort seltsame Spielarten nicht mehr so recht über die Lippen. Da war sie wieder, die verrutschte Perspektive, und der Zuschauer, dem der Voyeurismus souverän erspart geblieben war, entdeckte die Seltsamkeiten plötzlich bei sich selber. Nicht die gleichen: Diese Menschen da im Film, die erotischen Nachbarn also, erschienen plötzlich in ihrer Konsequenz bewundernswert. Vielleicht sogar beneidenswert.
Sicher hat es Gründe, warum Nachbarschaft in Bergmann-Popps Filmen immer wieder ein Thema ist. Der berühmte Film Giftzwerge traf nur oberflächlich auf ein kollektiv erkennendes Aufseufzen bei einem sehr großen Publikum – es war nämlich unter diesem ein selbst-erkennendes Aufseufzen, und als solches weit weniger angenehm! Nachbarn, das sind diese Ekelpakete, die einem selber leider ein bißchen ähnlich sind. Nachbarn sind die Alten und die, die nicht sehen können, Nachbarn sind von der Liebe geschlagen und erhoben und Nachbarn sind auch verrückt, aber vielleicht sind wir das ja auch selber. Nachbarschaft ist Euer Thema, der Grundakkord sozusagen, zu dem vielerlei Melodien gespielt werden.
Aber eine Lobrede sollte auch die Form nicht außer acht lassen. Und da arbeitet ihr mit sturer Behutsamkeit und einer Montagetechnik, die so ausgeklügelt ist, daß sie keinem auffällt. Die Form der Darstellung von Menschen muß als erstes Gesetz die Vermeidung der Denunziation beachten, und zwar so, daß es einem selbstverständlich erscheint, wie viel Nähe da entsteht. Das ist ein vertrackter Vorgang, Intimität und Diskretion immer in der Schwebe zu halten, in einem leicht erscheinenden Gleichgewicht. Peinlichkeit entsteht nicht, weil nichts peinlich ist. Intimität, ohne sich als Zuschauer ungebeten vorzukommen. Die Kamera schaut hin, mit wißbegierigem, um Genauigkeit bemühtem Blick. Sie kriecht nirgends darunter oder hinein. Sie respektiert ihre Objekte. Man sieht, daß sie sie auch schön findet. Der Frager ist nur hörbar, das Gesicht des Gegenübers, das im Begriff ist, sich mitzuteilen, spricht auch beim Zuhören, beim Schweigen. Der Ton des Fragenden ist nicht therapeutisch, nicht analytisch, nicht besserwisserisch und vor allem nicht bemüht. Er ist nicht herablassend, nicht philanthropisch und nicht schmeichlerisch. Aber was ist er, dieser Frageton? Neugierig. Freundlich. Respektvoll. Und manchmal ein klitzekleines bißchen ironisch, kaum merkt mans, ist es schon verschwunden, dieses Ironiefünkchen und war vielleicht nur ein Irrtum…
Natürlich wird das nie langweilig, und nie wird es für diese beiden Filmemacher einen Themenmangel geben. Viel eher ist ein Mangel an Gelegenheiten zu befürchten, zu produzieren wie sie es tun. Da geht nichts schnell, da ist Recherchenaufwand notwendig und der liebevolle Schnitt genau so wie die geduldige und ihre Skrupel nicht leugnende Nacharbeit. Filme leben von dem, was man nicht sieht. Geduld und Beharrlichkeit, daß der Ton so wichtig genommen wird, wie er nun einmal ist, daß Sackgassen und Fehlurteile nicht einfach weggesendet, sondern revidiert werden: Das macht Filme aus. Man sieht es, wie gesagt, nicht. Aber man spürt es, besonders die, um die es geht. Sorgfalt macht nämlich, dasß die Befragten sich ernst genommen und nicht ausgebeutet und benutzt fühlen. Film hinterläßt oft verbrannte Erde in Menschen, die dem Medium in die Hände gefallen sind. Ich glaube, all Eure Stars würden sich euch ein zweites – und drittesmal stellen!
Ja, es ist wichtig, daß Leute wie Ihr Preise bekommen. Vielleicht hilft es bei nächsten Projekten, oder es bleiben deswegen ein paar Menschen länger wach, wenn etwas von euch im Programm auftaucht. Manchmal denke ich, Ihr müßtet viele von denen, die sich ihre bürgerlichen Ehrenrechte haben wegfilmen lassen, auf eure Art zum Reden bringen und abbilden. Die Nachtseiten eines Dschungelcampbewohners oder die Ängste der Beinewerferinnen vom Sommerzauber der Volksmusik würden Euch und damit uns nicht verborgen bleiben. Und uns bewegen, weil das gar nichts mit Moral zu tun hat, sondern nur mit Neugier, Neugier auf Nachbarschaften, denen man sich mit freundlichem Blick zuwendet. Ihnen Kunst und Sorgsamkeit gönnt und Ähnlichkeiten nicht leugnet.
Liebe Mischka, lieber Thomas: Herzlichen Glückwunsch zum Robert Geisendörfer Preis!