Aus der Geisendörfer-Jury Kinderprogramme / Von Tilmann Gangloff
Der Satz ist abgedroschen, aber er hat nach wie vor seine Gültigkeit: Kinder haben keine Lobby. Das zeigt sich auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Gespart wird überall, doch im Kinderfernsehen gibt es kaum noch fiktionale Eigenproduktionen. Früher war das Verhältnis zwischen „Fiction“ und „Non-Fiction“ in der Kategorie Kinderprogramme des Robert Geisendörfer
Preises ausgeglichen, in diesem Jahr waren 20 der 24 Einreichungen Dokumentationen, Magazine oder Reportagen. Die vier weiteren Sendungen waren zwei Märchen, eine Episode des NDR-Dauerbrenners „Die Pfefferkörner“ sowie ein 15 Minuten kurzer Einzelfilm vom ZDF.
Das Kontingent ist durchaus repräsentativ für den Alltag im Kinderfernsehen: Im fiktionalen Bereich gibt es neben ganz viel Animation vom internationalen Markt allenfalls noch Klassiker wie die „Pfefferkörner“ oder die Soap „Schloss Einstein“. Beide sind fester Bestandteil des Programms, haben aber - vermutlich ebenfalls aufgrund von Budgetkürzungen - sichtbar an
Qualität verloren. Sonst bleiben bei der ARD im Grunde nur noch die Märchenfilme, die aus einem anderen Topf finanziert werden.
Wenig Innovationen
Im nichtfiktionalen Bereich sieht es kaum besser aus. Auch hier gibt es wenig Innovationen, deshalb stammte fast die Hälfte dieser Einreichungen aus der Kika-Reihe „Schau in meine Welt“. Das Format ist Dauergast beim Geisendörfer-Preis und hat immer wieder sehenswerte
Porträts zu bieten, steht aber auch für ein typisches Manko: Bei vielen Dokumentationen hatte die Jury den Eindruck, die Filmemacher hätten nicht genug Zeit mit ihren Protagonisten verbracht, um ihnen wirklich nahe zu kommen - und Zeit kostet nun mal Geld.
Die Privatsender waren in diesem Jahr überhaupt nicht vertreten. Für Super RTL, Nick und andere private Kindersender gelten in noch stärkerem Maß als für ARD und ZDF: Eigenproduktionen sind teuer, ihr Anteil bewegt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich, Risiken sind verpönt. Das Programm besteht daher überwiegend aus Importware, der Rest sind Tier-, Bastel- oder Wissensmagazine, die kaum für den Geisendörfer-Preis infrage kommen.
Zur Ehrenrettung gerade des Kinderkanals muss allerdings gesagt werden, dass „Schau in meine Welt!“ ziemlich das Gegenteil eines Quotengaranten ist. Der damit verbundene Respekt schützt die Reihe trotzdem nicht vor Kritik: Fast jede der neun eingereichten Folgen wurde als zu lang empfunden. Das ist der Nachteil eines formatierten Programms: Die Filme müssen 25 Minuten lang sein, egal, ob der Inhalt diesen Umfang rechtfertigt oder nicht.
Bestes Beispiel war „Ich bin Kilian“ (RBB). Kilian hat Trisomie 21. In der ersten Hälfte zeigt Bernadette Hauke (Buch und Regie) den Jungen in seinem Alltag: Kilian beim Ponyreiten, Kilian beim Kauf eines Käsebrötchens, Kilian in der Schule. Da der Film sonst ohne Kommentar
auskommt, wirkt es ausgesprochen deplatziert, wenn sich eine Frau aus dem Off als Schulbegleiterin vorstellt und anmerkt, in der Klasse gebe es noch zwei weitere Kinder mit Down-Syndrom. Die Szenen wirken beliebig zusammengestellt, es fehlt die Dramaturgie. Auf die
Jury wirkte die erste Hälfte wie eine Leistungsschau.
Das ändert sich, als Kilian den Zirkus Roncalli besucht und nach einigen Proben mit zwei Clowns in die Manege darf. Jetzt entwickelt der Film endlich eine gewisse Faszination. Da im ersten Teil auch Schwächen bei Kamera und Schnitt gesehen wurden, wurde gemutmaßt: Die Autorin wollte vor allem vom Roncalli-Auftritt erzählen, hatte aber nicht genug Material, weshalb
die Hinführung zum eigentlichen Thema ausführlicher ausfallen musste als geplant.
„Schau in meine Welt!“ ist das wohl letzte dokumentarische Format im Kinderfernsehen, bei dem Autoren die Möglichkeit haben, in die Tiefe zu gehen. Zu den besseren Filmen gehörten wieder einmal zwei Beiträge von Marco Giacopuzzi, den die Jury vor zwei Jahren für sein Porträt eines autistischen Jungen („Jons Welt“) ausgezeichnet hat. 2016 war er mit „Gedeon und sein Kobold“ (über ein Kind mit Tourette-Syndrom) in die engere Auswahl gekommen. Seine bekannteste Arbeit war die von rechten Kreisen heftig angefeindete Episode „Malvina, Diaa und die Liebe“ über die Beziehung zwischen einem christlichen Mädchen und einem syrischen Geflüchteten.
Gemessen an der Qualität dieser Beiträge konnten „Phil und das Traurigsein“ sowie „Fritz hat Glasknochen“ (beide HR) nicht restlos überzeugen. Die Jury begrüßte es zwar, dass sich der Schweizer des Themas Depression bei Kindern angenommen hat, doch das Porträt des elfjährigen Phil löste ein gewisses Unbehagen aus. Für das Empfinden der Jury schwankt der Film zwischen zu viel und zu wenig Nähe. Giacopuzzi baut einerseits viel Empathie auf, weil der nach einer Therapie offenbar wieder gesunde Junge mit erstaunlicher Abgeklärtheit über seine Krankheit spricht - der Autor ist ein Meister darin, Kinder zum Sprechen zu bringen. Andererseits hatte die Jury Zweifel, ob Kinder in der Lage sind, der anspruchsvollen Dramaturgie mit ihren vielen Zeitsprüngen sowie den eher abstrakten Erklärungen zu folgen.
Handwerkliche Schwächen
Auch Giacopuzzis zweiter Protagonist war ein Glücksfall, weil Fritz, ebenfalls elf, ein kecker Bursche ist. Richtig gut wird der Film, als ein weiterer Junge ins Spiel kommt, der die gleiche Krankheit hat. Die beiden ergänzen sich mit ihren trockenen selbstironischen Kommentaren wunderbar. Für beide Porträts gilt die gleiche Feststellung wie bei „Ich bin Kilian“: Halb so lang wäre doppelt so gut gewesen.
Offenbar werden die Autorinnen und Autoren der Reihe angehalten, ihre Protagonisten als ganz normale Kinder zu zeigen. In „Maya - mein Leben ohne Haare“ (MDR) zeigt Autorin Anne Scheschonk die unter Haarausfall leidende 13-jährige Maya, die viel Zeit mit ihren Hasen
verbringt. Der Themenkomplex Aussehen und Schönheit, der gerade bei Mädchen in der Pubertät doch ein ganz wesentlicher Faktor ist, wird hier jedoch kaum vertieft. Handwerklich hatte das Porträt Schwächen, die als Beispiel taugen, wie solche Filme nicht aussehen sollten: Die wirklich wichtigen Sätze, bei denen man Maya gern ins Gesicht schauen würde, sagt sie aus dem Off.
Wenig überzeugt hat auch „Mischa - Alles für den Song Contest“ (Radio Bremen), weil Autorin Lena Döring den Stil einer Reportage gewählt hat. Der Film fiel aus mehreren Gründen aus dem Rahmen: Mischa ist zwölf, Mitglied der jüdischen Gemeinde Oldenburg und probt für den „Jewrovision Song Contest“. Der Wettbewerb ist der Höhepunkt des Films, aber Dörings Weg zum Finale ist zu lang und zu umständlich. Aus Sicht erwachsener Zuschauer gibt der Film immerhin Einblicke in das kaum bekannte Leben in einer jüdischen Gemeinde.
Den Preisstatuten hätte „Mischa“ geradezu perfekt entsprochen, weil deutlich wird, wie stark eine gemeinsame Religion unterschiedliche Menschen miteinander verbinden kann. Allerdings hat die Autorin nach der Ansicht der Jury nicht deutlich genug gemacht, warum der Wettbewerb für Mischa so wichtig ist, was wiederum die Voraussetzung für eine stärkere Identifikation mit dem Jungen gewesen wäre.
Urwald und Großstadtdschungel
Als ärgerlich empfand die Jury die Folge „Coco und Tshering - Online in London und Bhutan“ (Radio Bremen). Die Kernidee des Films ist simpel: Was haben zwei zwölfjährige Mädchen mit so unterschiedlichem geografischem und sozialem Hintergrund gemeinsam? Genau: das Smartphone. Damit enden die Parallelen aber auch, denn Tshering, wie es in Redaktionsprosa
auf dem Einreichbogen heißt, „stapft durch den Urwald, Coco durch den Großstadtdschungel“. Coco ist Youtube-Influencerin, versichert aber, sie möge das richtige Leben viel lieber, während Tshering sagt, für sie gebe es keinen Unterschied zwischen dem Leben in der richtigen Welt und der Welt im Smartphone. Der Jury blieb es ein Rätsel, was die Autorinnen Irja von Bernstorff und Birgit Maaß mit diesem Film erreichen wollten.
Von einem Kontrast ganz anderer Art zehrt „Anaica - Das Mädchen aus Haiti und der Fridinger Narrenschrei“ (SWR). Die 13-jährige Titelfigur und ihr jüngerer Bruder sind adoptiert worden. Autor Bastian Epple ergötzt sich allzu sehr daran, wie die Kinder mit dunkler Hautfarbe breites Schwäbisch sprechen und sich mit Hingabe in die Fasnet stürzen. Immerhin erzählt der Film von
einem funktionierenden Zusammenleben und verhehlt trotzdem nicht, dass es hin und wieder zu Problemen kommt. Dennoch ist es auch Epple nicht gelungen, die Sendezeit sinnvoll zu füllen: am Anfang gibt es zu viele Landschaftsaufnahmen und am Schluss zu viel Fasnet.
Bis in die Schlussdiskussion über die Preisträger schaffte es kein Beitrag aus „Schau in meine Welt!“.
Herausforderungen des Alltags
„Ich bin ich“ ist gewissermaßen „Schau in meine Welt!“ für Vorschulkinder, auch zu diesem Kika-Format werden die Beiträge von allen möglichen Sendern geliefert. Gerade kleine Kinder sind im Fernsehen fasziniert von Gleichaltrigen, erst recht, wenn sie Erfolgserlebnisse haben. Deshalb ging es in der Reihe bislang meist darum, authentisch zu zeigen, wie Kinder bestimmte
Herausforderungen des Alltags meistern: eine tote Maus beerdigen, erstmals allein Fahrrad fahren oder allein ein Kälbchen füttern.
Von diesem Konzept hat sich die Redaktion offenbar verabschiedet. Die eingereichten Folgen „Jona backt Brot“ (Kika, Buch und Regie: Ute Hiligfort) sowie „Nela ist eine große Schwester“ (RBB, Ulrike Lehmann) waren dramaturgisch jedoch nicht überzeugend. In der Episode mit der sechsjährigen Nela und ihrem kleinen Bruder gibt es keine Steigerung, die Folge wäre viel spannender gewesen, wenn das Mädchen beispielsweise zum ersten Mal das Baby hätte wickeln dürfen. Der zweite Film wird dem Formatkonzept nicht gerecht, weil nicht der sechsjährige Jona mit Down-Syndrom im Mittelpunkt steht, sondern seine ältere Schwester, die auch die Erzählerin ist. Außerdem ist die Kamera viel zu weit weg von den beiden. So lässt sich keine Nähe herstellen.
Die lebhafteste Diskussion löste die Einreichung „Alarm - Die jungen Retter“ (SWR) aus, eine Spielshow im Stil von „Spiel ohne Grenzen“. Die Teilnehmer stammen aus den Jugendgruppen gemeinnütziger Organisationen wie DLRG oder THW. Die Debatte entzündete sich an der
Frage, ob eine Sendung von vornherein chancenlos sei, nur weil sie in erster Linie unterhalten will, immerhin zeigt die Reihe junge Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren.
Das entscheidende Argument gegen eine Preiswürdigkeit des Formats, dem handwerkliche Professionalität attestiert wurde, war der Wettbewerbsfaktor: „Alarm - Die jungen Retter“ informiert zwar nebenbei auch über die Arbeit der Organisationen, aber in erster Linie geht es um Spiel und Spannung unter ähnlichen Bedingungen wie bei Castingshows. Beim Finale müssen
die Teams Herausforderungen meistern, wie sie etwa für die Feuerwehr oder die Bergwacht typisch sind. Die jeweiligen Betreuer analysieren die Bemühungen und verteilen Punkte. Weil auf diese Weise ähnlich wie bei „Germany’s Next Topmodel“ fast zwangsläufig die Fehler im Vordergrund stehen, werden die Anstrengungen der Jugendlichen nicht auf-, sondern abgewertet. Es wäre eine reizvolle Aufgabe für Formatentwickler, ein Konzept zu entwerfen, bei dem das Miteinander und nicht der Wettbewerbsgedanke im Vordergrund steht.
Anstrengungen werden abgewertet
Eine weitere SWR-Reihe wurde dagegen ausgesprochen positiv diskutiert: „Dein großer Tag“ erfüllt Kindern ihren größten Wunsch. In den beiden eingereichten Ausgaben lässt Moderatorin Muschda Sherzada zwei Mädchen in deren Traumberuf hineinschnuppern: Die eine möchte Nachrichtenjournalistin und Moderatorin werden, die andere Kinderärztin. Beide Folgen vermitteln
viel Wissen über die jeweiligen Sparten. Die Besuche in der „logo!“-Redaktion und im „Tagesschau“-Studio lieferten interessante Blicke hinter die Kulissen. Auch Sherzada wurde als sympathisch und wohltuend zurückgenommen empfunden.
Deutlich größere Preis-Chancen hatten zwei Sonderausgaben der „Sendung mit der Maus“ (WDR). „Die unsichtbare Krankheit“ (Katja Engelhardt, Inka Friese) befasst sich mit Erkrankungen der Seele und findet dafür beredte Bilder. Als „grandios“ wurde die Idee
bewertet, Gefühle, Gedanken und Erinnerungen durch verschiedenfarbige Luftballons repräsentieren zu lassen. Um die erkrankten Kinder zu schützen, aber trotzdem ihre Berichte verwenden zu können, werden ihre Erzählungen animierten Figuren in den Mund gelegt. Das hat
allerdings den Nachteil, dass Moderator Johannes Büchs beim Rundgang durch eine entsprechende Einrichtung nur auf Personal, nicht aber auf Patienten trifft. Dieser Teil der Sendung wurde eher als schwach und geradezu altbacken empfunden.
„Multimedia für Kinder“
Im Vergleich zu einer thematisch ganz ähnlichen Folge des ZDF-Magazins „Pur+: Was stimmt nicht mit mir“ kam die „Maus“-Folge in der Diskussion jedoch deutlich besser weg.
Unübersehbare Schwächen sah die Jury auch bei einer zweiten Spezialausgabe, „360 Grad“ (Katja Engelhardt). In dieser Folge versucht Büchs, ein 360-Grad-Foto herzustellen. Auf Wunsch des WDR wurde nicht nur die Sendung, sondern auch die vorbildlich gestaltete Website zu dieser Ausgabe in Augenschein genommen. Hier kann die Zielgruppe auf kindgerechte Weise unter anderem Programmieren lernen. Gäbe es beim Geisendörfer-Preis die Kategorie „Mutimedia für Kinder“, wäre dieses Gesamtkonzept klarer Preisträger.
„360 Grad“ steht somit stellvertretend für Herausforderungen, mit denen sich die Stifter des Preises befassen müssen, denn bislang lassen die Statuen nur klassische Fernsehsendungen zu. Inhaltlich entsprach das Multimedia-Konzept nur bedingt den Preiskriterien, die Sendung offenbarte zudem handwerkliche Schwächen. Die „Maus“, so ein Fazit, habe sich früher auf höherem Niveau bewegt.
Deshalb hat sich die Jury bei der Preisfindung zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. In beiden Ausgaben spielen die „Lachgeschichten“ mit „Trudes Tier“ eine entscheidende Rolle, weil das Zeichentricktier die kleinen und großen Zuschauer ins jeweilige Thema einführt. Im ersten Fall hilft das sympathische Monster mit seiner überschäumenden Energie einem traurigen Jungen eher aus Versehen dabei, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen: Als es in einem Krankenhaus ein ganzes Behandlungszimmer bemalt, animiert es das Kind auf diese Weise dazu, den seelischen Schmerz in ein Bild einfließen zu lassen.
Stellvertretende Auszeichnung
In der zweiten Sendung setzt sich das Tier eine vermeintliche Virtual-Reality-Brille auf und stiftet allerhand Chaos. „Es fühlt sich an wie echt“, freut es sich, nicht ahnend, dass es durch die Pappbrille die Wirklichkeit sieht, während es überzeugt ist, das ganze Unheil bloß in der virtuellen Realität anzurichten. Autor der kurzen Studio-Soi-Produktionen ist Marcus Sauermann, der schon vor zehn Jahren mit seinem Drehbuch zu dem ebenfalls mit einem Geisendörfer-Preis ausgezeichneten kurzen Zeichentrickfilm „Der Kleine und das Biest“ gezeigt hat, wie man selbst traurigen Geschichten lustige Seiten abgewinnen kann.
Die Jury möchte die Preise für Sauermann und Henrike Vieregge als zuständige Redakteurin beim WDR aber ausdrücklich auch als stellvertretende Auszeichnung für das Gesamtkonzept der beiden „Maus“-Ausgaben verstanden wissen, weil sie wichtige Themen aufgreifen und facettenreich beleuchten.
Auch die Suche nach dem zweiten Preisträger dauerte nicht lang. Die Statuten enthalten keine Vorgabe, dass die beiden Ehrungen die Bereiche Fiction und Non-Fiction abdecken sollten, die Jury strebt dieses Ziel aber dennoch an. Das gelang in diesem Jahr problemlos, weil „Das Märchen von der Regentrude“ praktisch ohne Konkurrenz war. Der vom ZDF eingereichte Puppentrickfilm „Chika, die Hündin im Ghetto“ (Buch: Carmen Blazejewski, Batsehva Dagan, Regie: Sandra Schießl) wurde zwar angesichts der liebevollen Ausstattung und des großen handwerklichen Geschicks mit viel Wohlwollen diskutiert, aber letztlich überwog die Kritik am pädagogischen Konzept des Films. Die Kika-Zielgruppe, hieß es, könne die Geschichte über eine Familie im Ghetto, die sich vor den Soldaten versteckt, ohne Anleitung historisch überhaupt nicht einordnen.
Witz und Ironie
Ganz anders dagegen die Storm-Verfilmung von der „Regentrude“ (NDR), denn hier passt alles: die Handlung, die Figuren, die Besetzung, die Inszenierung. Die Jury war regelrecht entzückt. Besondere Anerkennung gebührt Autorin Leonie Bongartz. Ähnlich wie der Märchenfilm „Die kluge Bauerntochter“, zeichnet sich auch diese Adaption durch eine Form der Modernisierung aus, die dem Geist der Vorlage treu bleibt, die Geschichte aber feinfühlig durch Witz und Ironie ergänzt.
Besonders großen Spaß hatte die Jury an der Figur des von Özgür Karadeniz mit viel trockenem norddeutschem Humor gespielten Fährmanns. Die Handlung des Storm-Märchens ist von verblüffender Aktualität: Das Land leidet unter einer langanhaltenden Dürre. Letzte Hoffnung ist die fast in Vergessenheit geratene Regentrude, die von einer Jungfrau geweckt werden muss. Der Appell zu einem naturverbundenen Leben liest sich wie ein Kommentar zum Klimawandel.
Die Geschichte erzählt eine klassische Heldinnenreise. Die Hauptfigur ist zwar ein Wesen reinen Herzens, darf aber auch gewisse Schwächen zeigen; das Märchen stilisiert die von Janina Fautz vorzüglich verkörperte junge Frau nicht zur überlebensgroßen Ikone. Auch die weiteren Mitwirkenden, allen voran Axel Prahl und Gabriela Maria Schmeide, werden von Regisseur
Klaus Knoesel ausgezeichnet geführt. Das ist nicht selbstverständlich, oft verwechseln selbst namhafte Darsteller Kinderfernsehen mit Kasperletheater.
Trotz dieser Auszeichnung hält es die Jury für eine bedenkliche Entwicklung, dass offenbar allein die Märchenfilmproduktionen noch vergleichsweise üppig ausgestattet sind. Wie schon im letzten Jahr steht eine Ausgabe von „Pur+“ (ZDF) für einen alarmierenden Negativtrend. In der Sendung „Ich habe Krebs“ besucht Moderator Eric Mayer eine Krebsstation und scheint sich
bei seinen Stippvisiten nicht besonders wohlzufühlen. Die Jury vermutete, dass er zu wenig Zeit mit den jungen Patienten verbracht hat, und bemängelte darüber hinaus, dass der komplexe Vorgang einer Chemotherapie „auf einen Pieks reduziert“ werde.
Das pädagogische Konzept
Da Ausgaben von „Pur+“, 2014 für „Hilfe, ich bin ein Vorurteil!“ ausgezeichnet, regelmäßig zum Kontingent gehören, ließ sich der Werdegang des Magazins über die Jahre gut verfolgen. Die Jury hat den Eindruck, dass den Verantwortlichen offenbar das pädagogische Konzept abhandengekommen ist. Sie appelliert daher an sämtliche Kinderfernsehredaktionen, sich mit der Frage auseinandersetzen, wie ihre Produktionen auf junge Zuschauer wirken. Mit Hilfe von Testvorführungen lässt sich feststellen, ob sich die Sendungen überhaupt noch auf Augenhöhe der Zielgruppe bewegten.
Gerade bei Magazinen zu komplexen Themen hatte die Jury Zweifel, dass die Kinder den Ausführungen folgen können. Oft scheint es am Geld zu fehlen, mitunter aber auch am Willen.