Autoren und Regisseure Stephan Lamby und Klaus Radke. PHOENIX
Begründung der Jury
Das anfänglich herzhafte Lachen bleibt einem im Hals stecken. Natürlich sind die Szenen hinlänglich bekannt: Der Kanzler als laienhafter Darsteller seiner selbst in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Guido Westerwelle, fröhlich plappernd auf dem Weg in den Big Brother Container. Cem Özdemir, der sich als Blumen bestäubende Biene vor johlendem Publikum in „Zimmer frei“ zum Deppen macht. Edmund Stoiber als familienmenschelnder Kinder-Streichler, der sich als Politiker zum Wahlkampfauftakt um Kopf und Kragen stammelt. Hula-Hopp-Reifen schwingende, Sack hüpfende, mit den Hüften wackelnde oder Figuren der Sesamstraße herzende Kandidaten – nichts scheint den Politikern zu billig, um im Popularitätswettstreit und im Kampf um Fernsehpräsenz zu punkten.
Stephan Lamby und Klaus Radke haben mehr als 1.000 Sendungen ausgewertet und aus den Fundstücken eine amüsante und äußerst hellsichtige Collage über die Inszenierung von Politik und die Selbstinszenierung ihrer Protagonisten zusammengefügt. Die fast wortgleichen Versicherungen der Parteipolitiker jedweder Couleur, es gehe in der Politik ja nicht nur um Show, kontrastieren sie mit Zitaten aus Unterhaltungssendungen, Talkshows und Nachrichtenbildern, die genau das Gegenteil belegen. Exakt kalkulierte Bilder von Parteitagen, die wie Krönungsmessen in Szene gesetzt sind, zeigen, dass es in der Mediengesellschaft längst so etwas wie Staatsschauspielkunst gibt.
Den Showdown im Bundesrat bei der Abstimmung über das Einwanderungsgesetz erklären die knapp und präzise zu Wort kommenden Inszenierungsspezialisten wie Dominik Graf und Jürgen Flimm. Und wie die Lernkurve der Wahlkämpfer seit dem TV-Duell zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy verlaufen ist, machen die beiden Autoren mit klug gewählten und perfekt geschnittenen Zitaten deutlich.
Stephan Lamby und Klaus Radke erlauben mit ihrer Dokumentation ihren Zuschauern einen unverstellten Blick hinter die Kulissen der Großen Oper “Politik“ – frech, humorvoll entlarvend und deshalb so ungemein unterhaltsam und lehrreich zugleich. Ihre verdienstvolle Respektlosigkeit gegenüber den Wahlkämpfern entpuppt sich dabei als tiefer Respekt vor den Wählerinnen und Wählern. Schade, dass die öffentlich-rechtlichen Brüder und Schwestern dieses Aufklärungsstück von Phoenix vor der Wahl nicht im Ersten gezeigt haben.