Die Journalistin Bettina Rühl ist am 16. Oktober in München mit dem Sonderpreis des Robert Geisendörfer Preises ausgezeichnet worden. Mit dem Preis würdigte die Jury Rühls „herausragende, unermüdliche und jahrelange Berichterstattung aus und über Afrika“. Die Journalistin berichtet unter anderem für den WDR, den Deutschlandfunk und den Evangelischen Pressedienst. Die Laudatio auf Bettina Rühl hielt der Autor und Berater Prinz Asfa Wossen Asserate.
Wir ehren heute eine Frau, die ihr Leben Afrika gewidmet hat. Seit mehr als 30 Jahren berichtet Bettina Rühl als Hörfunkjournalistin und für Printmedien auf herausragende Weise über diesen Kontinent. Heute erhält sie dafür den Sonderpreis der Jury des Robert Geisendörfer Preises 2018.
Berichterstattung über Afrika beschränkt sich in westlichen Medien oftmals auf die berüchtigten Ks: Kriege, Krisen, Katastrophen. Auch Bettina Rühl verschweigt in ihren Reportagen und Hörfunkfeatures nicht die Probleme, denen dieser Kontinent gegenübersteht. Im Gegenteil, furchtlos spricht sie heikle Themen an. Sie berichtet über „Drogenbarone in Mali“ oder über Kindersoldaten in Sierra Leone oder Schlepperbanden in Libyen. Doch Bettina Rühl versteht es auch, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit Afrikas zum Ausdruck zu bringen. Die Lebensfreude der Menschen dieses Kontinents und ihre enorme Kreativität sind genauso in ihrem Fokus, wie der erstaunliche wirtschaftliche Aufschwung in manchen Regionen Afrikas. „Beides stimmt ein bisschen, aber diese Entwicklungen nebeneinander zu denken, fällt Europäern schwer“, sagt sie.
Bettina Rühl ist eine Kennerin des afrikanischen Kontinents und sie ist eine scharfe Beobachterin. Ihre Beiträge sind gründlich recherchiert und oftmals das Ergebnis geduldiger und vorsichtiger Annäherung an ihre Themen. Lebendig, farbig und detailgetreu beschreibt sie die Zustände und Herausforderungen, mit denen sich Afrika konfrontiert sieht. Herausragend an ihrer journalistischen Arbeit ist jedoch die empathische Nähe zu den Menschen. Ihr gelingt es, die Würde der Menschen Afrikas stets einfühlsam zum Ausdruck zu bringen.
Die Würde des Menschen begründet seine elementaren Menschenrechte, überall auf der Welt. Es sind diese Menschenrechte mit der Menschenwürde an der Spitze, die das einigende Band unserer modernen Gesellschaften bilden. Dass auch Afrika eingeschlossen wird, in dieses einigende Band der Menschheit, auch dafür setzt sich Bettina Rühl auf bewundernswerte Weise ein. Afrika ist die Urheimat von uns allen. Von Ostafrika aus verbreiteten wir Menschen uns über die ganze Erde. Daher ist die Begegnung unterschiedlicher Kulturen durch verschiedentlich motivierte Wanderungen Einzelner oder ganzer Gruppen, ihr Austausch untereinander, das entscheidende Merkmal der kulturellen Entwicklung der Menschheit.
Was aber ist Afrika? Afrika ist ein Kontinent mit einer Landmasse, in der Europa etwa zehn Mal Platz fände. Afrika besteht heute aus 55 Staaten. Ihre Grenzen entsprechen noch weitgehend den Demarkationslinien, die von den Kolonialmächten in den Kontinent geschnitten wurden. Oft sind sie geradezu widersinnig. Sie trennen Völker oder zwängen andererseits viele unterschiedliche Ethnien unter eine Regierung.
„Enorme Herausforderungen“
In Afrika leben derzeit rund 1,2 Milliarden Menschen, mehr als zweimal so viele wie in der gesamten Europäischen Union. Afrika ist der jüngste Kontinent. Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei 19 Jahren. Bis zum Jahr 2050 wird sich nach Prognosen der UNO die Bevölkerung in Afrika verdoppeln, auf dann mehr als zwei Milliarden Menschen. In meinen Augen ist Afrika vor allem Vielfalt. Es gibt nicht nur ein Afrika. Es ist kein homogener Kontinent. Auch Bettina Rühl berichtet in ihren journalistischen Beiträgen sowohl von erstaunlichen Fortschritten und Errungenschaften auf diesem Kontinent, in der Wirtschaft genauso wie in der Politik und im gesellschaftlichen Leben, auf der anderen Seite weist sie hin auf gravierende Versäumnisse und Fehlleistungen und auf enorme Herausforderungen, die Afrika zu meistern hat.
Wenn Afrika eine Zukunft haben soll, muss Europa von seiner bisherigen desaströsen Wirtschafts- und Handelspolitik Abschied nehmen. Europa muss damit aufhören, seine Agrarpolitik auf Kosten der Entwicklungsländer zu subventionieren. Die Einfuhr von Dumpingprodukten, die den lokalen Bauern und Kleinproduzenten das Wasser abgraben, muss gestoppt werden.
Afrika ist für Europa eine riesige Herausforderung. Wenn man die Migration eindämmen will, muß man die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort verbessern. Über allem aber steht die Schaffung von Arbeitsplätzen für die junge Bevölkerung in Afrika, die 85 Prozent der 1,2 Milliarden der Menschen umfasst. In einigen Ländern südlich der Sahara beträgt die Jugendarbeitslosigkeit fast 60 Prozent. Um die Fluchtursachen in Afrika zu bekämpfen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur wenn es gelingt, die perspektivlose afrikanische Jugend in Brot und Arbeit zu bringen, können wir sie davon überzeugen, in ihren Heimatländern zu bleiben.
Es ist unbestritten, dass Europa und die Vereinigten Staaten in den letzten 50 Jahren viel getan haben, um Afrika unter die Arme zu greifen. Das größte Geschenk, das Europa Afrika in Zukunft machen kann, wäre, seine Appeasementpolitik gegenüber afrikanischen Gewaltherrschern endlich zu beenden. Die Politik der Zugeständnisse, der Zurückhaltung, der Beschwichtigung und des Entgegenkommens gegenüber afrikanischen Diktatoren, die ihre eigenen Völker skrupellos ausbeuten und unterdrücken, darf nicht weiter fortgeführt werden. Falsche Toleranz gegenüber menschenverachtenden Potentaten sehe ich als Verrat an den universellen Werten der Menschheit, die auch die Basis der Vereinten Nationen bilden.
Bettina Rühl hat kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift „Chrismon“ auf die Frage: „Was können wir tun?“ die folgende Antwort gegeben: „Die Antwort liegt in unseren Gesetzen, die unseren Wohlstand schützen, dabei aber afrikanischen Ländern die Chancen nehmen, sich zu entwickeln - zum Beispiel, indem wir Handelshemmnisse aufbauen. US- und EU-Subventionen für Landwirte wirken in diese Richtung. Dagegen kommt kein Bauer in Afrika an. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir unseren Reichtum teilen.“
„In Afrika ist der Ausweg aus den Verirrungen unserer Zeit zu suchen“, formulierte schon im Dezember 1954 der Urwalddoktor Albert Schweitzer in einem Brief an Albert Einstein. Man kann diesen Satz auf vielfältige Weise interpretieren. Wohlstand und Macht erscheinen im heutigen Afrika manchmal als die sich überlagernden Werte. Entsprechend sind soziale, familiäre, aber auch administrative Beziehungen in hohem Maße monetarisiert. Aber diese Probleme gibt es nicht nur in Afrika. Der Dämon der Gier und Unersättlichkeit treibt sein Unwesen überall in unserer globalisierten Welt. Ich glaube, es ist unsere größte Aufgabe im 21. Jahrhundert, die Forderungen des Marktes wieder mit der Menschlichkeit zu versöhnen. So finden wir über gemeinsame, im Dialog definierte und verfestigte Werke in eine gemeinsame Zukunft und gleichzeitig wieder zurück zu aller gemeinsamer Wurzel: Afrika.
Ich denke, auch dafür hat Bettina Rühl mit ihrer journalistischen Arbeit einen großen Beitrag geleistet und verdient dadurch den aufrichtigen Dank nicht nur unserer deutschen Mitbürger, sondern auch aller Afrikaner.