Und wir sind nicht die Einzigen

Autor und Regisseur Christoph Röhl, 3sat 2011 (Filmredaktion), Produktion: Herbstfilm, Berlin

mck
Christoph Röhl (Preisträger Fernsehen)

Begründung der Jury

„Ich glaube, die hätten es wissen können“, findet ein junger Lehrer und setzt nach: „Aber sie hatten keine Antennen dafür.“ Er sei „immer mit dem Gefühl großer Angst ins Bett gegangen“, erinnert sich der Odenwaldschüler Jürgen Dehmers, und seine Stimme klingt immer noch hilflos, wenn er hinzufügt: „Und ich wusste keinen Weg, wie das aufhört.“ Der Interviewfilm „Und wir sind nicht die Einzigen“ nimmt sich viel Zeit, um jene zu Wort kommen zu lassen, deren Hilferufe an der Odenwaldschule jahrzehntelang von keinem Pädagogen empfangen wurden. Bis heute tut sich die Odenwaldschule schwer mit der Aufarbeitung der seelischen und körperlichen Gewalt, die den Internatsschülern von ihren Lehrern angetan wurde. In seiner eindringlichen Dokumentation „Und wir sind nicht die Einzigen“ geht es Christoph Röhl weniger darum, das Versagen der OS-Pädagogen zu erklären, als darum, exemplarisch die heillosen Verheerungen aufzuzeigen, die sexueller Missbrauch bei den Opfern unweigerlich anrichtet. Wenn in seinem Film erwachsene Männer von ihren Missbrauchserlebnissen an der Odenwaldschule berichten, meint man als Zuschauer, hinter dem Mann den hilflosen Jungen oder den gedemütigten Jugendlichen zu erkennen. Röhl, einst selbst studentischer Hilfslehrer an der Odenwaldschule, nimmt sich seiner Gesprächspartner an, ohne sich mit ihnen gemein zu machen. Das ist die besondere Stärke seines konzentrierten Films: Statt zu skandalisieren, räumt Röhl seinen Protagonisten die größtmögliche Chance ein, den Zuschauer selbst zu überzeugen. Die bis zu fünf Stunden langen Interviews wurden so aufgenommen, dass die Gesprächspartner nun direkt in die Kamera zu schauen scheinen. Jetzt erzählen sie UNS ihre Geschichte – ohne Wenn und Aber. Und in der berechtigten Hoffnung, diesmal Antennen vorzufinden, wo früher nur Blitzableiter standen.