„Fortgesetztes Nachdenken“ – Laudatio von Klaudia Wick auf Sat.1-Co-Geschäftsführer Joachim Kosack
Dank meiner Steuerunterlagen kann ich heute noch mit Gewissheit sagen, wann ich Joachim Kosack zum ersten Mal persönlich begegnet bin: Es war am 7. September 2004, also vor fast genau sieben Jahren. Die Teamworx hatte zu einer Pressevorführung in die Bertelsmann-Repräsentanz eingeladen, um eine neue Dramaserie vorzustellen, die wenige Tage später auf Sendung gehen würde. „Verschollen“, so erklärte uns der zuständige Teamworx-Produzent Joachim Kosack mit Verve, sei eine wirkliche tolle, nein!, eine sensationelle, ach, was!, eine epochemachende Angelegenheit.
Die mit Liebe hergestellte Parallelwelt, das minuziös aufgefächerte menschliche Drama – „Verschollen“, so diktierte uns Kosack in den Block, würde „für mindestens das ganze nächste Jahr“ die RTL-Zuschauer in Atem halten. Die Story, von er uns berichtete, war tatsächlich ungewöhnlich, trotzdem kam sie einigen im Saal seltsam bekannt vor: Zwanzig Touristen, die den Absturz ihres Urlaubsfliegers überleben, retten sich auf eine einsame Insel. Dort finden sie paradiesische Zustände vor: Es gibt genügend Wasser und Früchte für alle. Trotzdem wird fernab der Zivilisation aus dem Garten Eden bald eine knallharte Südseehölle. Denn alle gelernten Werte und Normen müssen hier einer Überlebensprüfung standhalten: Unterwirft sich die Notgemeinschaft einer zivilisierten Inselordnung? Oder darf bald jeder machen, was er will?
„Niederlagen gehören zum Leben“
Ihn persönlich erinnere „Verschollen“ ja weniger an die US-Serie „Lost“ als vielmehr an die von ihm ebenfalls verantwortete Knast-Weekly „Hinter Gittern“, wurde Joachim Kosack an diesem Abend nicht müde zu betonen. Und für den Moment gab ich ihm wider besseres Wissen recht.
Ein knappes halbes Jahr später stellte RTL „Verschollen“ sang- und klanglos ein. Man kann also nicht sagen, dass dieses Inselabenteuer Kosacks größter Erfolg war. Ja womöglich war es sogar einer seiner größten beruflichen Missgriffe. Und vielleicht finden einige von Ihnen, und gar der Preisträger selbst, dass es sich nicht schickt, ausgerechnet heute ausgerechnet an „Verschollen“ zu erinnern.
Ich widerspreche solchen Überlegungen ausdrücklich! Niederlagen gehören zum Leben und im Fernsehen zum Geschäft. Niemand ist vor ihnen gefeit, niemand kann sein Publikum so genau kennen, dass er die Ein- und Umschaltimpulse der Zuschauer wirklich präzise vorhersagen könnte. Das Wetter spiele eine nicht zu unterschätzende Rolle, heißt es in Fernsehforscherkreisen. Natürlich auch das Programm der Konkurrenz, vielleicht sogar die Mondphase – wer weiß das schon so genau?
„Die Vorstellungskraft der Kreativen“
Aber so viel ist sicher: Wer nicht an die Vorstellungskraft seiner Kreativen glaubt, wer beim Erzählen von Fernsehgeschichten nichts wagt, wer seinem Publikum keine Neugier, dem Markt keine Beweglichkeit zutraut – der hat schon vor dem Sendetermin alles verloren. Weit größer als die Niederlage von „Verschollen“ war deshalb die vielleicht nie getroffene, sondern eher gefallene Entscheidung von Sat.1, eines Tages vor dem unterhaltungsorientierten Publikumsgeschmack komplett zu kapitulieren und immer nur die x-te Variante der immer gleichen belanglosen Romantic Comedy zu produzieren, mit der man gestern und letzte Woche noch einigermaßen Marktanteile eingefahren hatte. So was geht eine Weile gut. Aber dann geht von einem Tag auf den anderen plötzlich gar nichts mehr.
In den sieben Jahren nach „Verschollen“ bin ich Joachim Kosack immer mal wieder begegnet, auf Pressekonferenzen oder Podiumsdiskussionen. Jedes Mal, so schien es mir, hatte der Mann einen anderen Titel auf der Visitenkarte, aber der Enthusiasmus, mit dem er für seine Ideen, Projekte, Formate eintrat, war gleichbleibend hoch. Joachim Kosack glaubt an das, was er tut. Und wenn ich mich frage, wie er es geschafft hat, in seiner Sendergruppe, die ja auch „Germany's Next Topmodel“ verantwortet, ein Movie wie „Plötzlich fett“ zu beauftragen, wo Abnehmwahn und Körperkult kritisiert werden, dann fällt mir wieder der Abend von „Verschollen“ ein. Und Kosacks Überzeugungskraft.
Es ist unter seiner Leitung als Fiction-Chef vieles entstanden, das mit einem Subtext versehen war: Der Sat.1-Katastrophenfilm „Restrisiko“ im Januar diesen Jahres war ja zum Beispiel nicht nur spannendes Entertainment, sondern auch ein klares Statement gegen die Kernkraft. Übrigens VOR der Energiewende und in einem börsennotierten Privatsender, der seine Werbeinseln des Öfteren mit Spots der vier großen Energieversorger füllt.
Ein paar Jahre zuvor entdeckte Kosack in einem Stapel von vergessenen Drehbüchern, die sein Vorgänger ihm bei ProSieben hinterlassen hatte, das Konzept zu „Barfuß bis zum Hals“. Das ließ sich mit Kosacks Augen nicht nur als lustige Familienkomödie lesen, sondern auch als Standortbestimmung 20 Jahre nach der Wende verstehen. Auch die Sat.1-Serie „Danni Lowinski“ war von Anfang an nicht allein eine unterhaltsame Anwaltsserie, sondern ist immer auch ein fortgesetztes Nachdenken über gesellschaftliche Chancengleichheit. Und die Krankenhausserie „Dr. Molly & Karl“ leistete sich 2008 nicht nur die exzentrische Hirnforscherin, sondern auch den eloquenten Krankenhauspfarrer, der schon mal mit seiner Kollegin in der Raucherpause ausführlich über den Sinn des Lebens debattiert.
Joachim Kosack, Missionarssohn und Theaterregisseur, bekennt sich bei den von ihm verantworteten Programmentwicklungen übrigens genauso selbstverständlich zum populären Fernsehen wie zur Frohen Botschaft – beides kommt letztlich ohne Adressaten nicht aus, braucht also zunächst einmal Publikum. Quote war und ist für Joachim Kosack deshalb weder ein Gottesgeschenk noch ein Gegensatz, sondern die Voraussetzung für die Vermittlung von relevanten Themen, Werten und Haltungen.
„Genre plus X“ ist die Formel, nach der seit 2007 die Fernsehfilme von Sat.1 entwickelt werden. Dass diese Unbekannte auch im gewinn- und damit unterhaltungsorientierten Privatfernsehen nicht allein mit populärem Eskapismus gefüllt werden muss, sondern durchaus auch moralische, gesellschaftliche und spirituelle Haltungsfragen beinhalten kann, beweist Joachim Kosack seitdem immer wieder all jenen, die einen solchen Anspruch gerne den öffentlich-rechtlichen Sendern überlassen würden. Auch wegen dieser Beweisführung zeichnet die Jury des Robert Geisendörfer Preises den Fiction-Chef und stellvertretenden Geschäftsführer von Sat.1 mit dem diesjährigen Sonderpreis aus. Wir verstehen unsere Entscheidung, lieber Joachim Kosack, als Ermutigung, dem eingeschlagenen Weg treu zu bleiben. Ich persönlich glaube ja: Der Mann kann gar nicht anders!