Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
Mentor evangelischer Publizistik – Zum 100. Geburtstag von Robert Geisendörfer
Meine Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, Sie heute zur 27. Verleihung des Robert Geisendörfer Preises begrüßen zu dürfen. Durch die alljährliche Auszeichnung mit dem Medienpreis der evangelischen Kirche ist der Mentor evangelischer Publizistik stets gegenwärtig. Der diesjährige Festakt bietet jedoch die Gelegenheit, sich intensiver mit Robert Geisendörfer auseinander zu setzen – mit seiner großartigen Lebensleistung, mit seinem Wirken und den aktuellen Herausforderungen unserer Medienarbeit. Geisendörfer wäre am 1. September einhundert Jahre alt geworden. So freue ich mich ganz besonders, seiner heute hier in München gedenken zu können, wo er lange wirkte. Und ich darf das ganz persönlich sagen, dass ich als bayerischer Landesbischof stolz bin, wie viele Impulse von diesem Pfarrer unserer Landeskirche ausgegangen sind.
Seine Bedeutung speziell für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern haben wir gestern Abend ausgiebig gewürdigt: mit der Eröffnung der Ausstellung „Robert Geisendörfer – Leben und Werk“. Sie ist zu sehen in den Räumen des Evangelischen Presseverbandes in Bayern – nicht weit von hier in der Birkerstraße. Ein Besuch lohnt sich.
Robert Geisendörfers Wirken blieb nicht auf Bayern beschränkt, sondern hatte eine bundesweite, ja internationale Dimension. In Würzburg geboren, studierte er in Tübingen und Erlangen. Nach zehn Jahren im Gemeindepfarramt in Brannenburg am Inn war er 1947 zum Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes für Bayern berufen worden. Für ihn selbst durchaus überraschend, wie es heißt. In seiner Aufbauarbeit hat sich aber schnell gezeigt, dass das Vertrauen in ihn gerechtfertigt war. Geisendörfer hat sich in seiner 20-jährigen Tätigkeit für den Presseverband schnell zum Vordenker entwickelt. Er ist zum Publizisten gereift und zum unermüdlichen Pionier geworden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang – in gebotener Kürze – seine Aufgaben in Erinnerung rufen. Zumeist überlappten sie sich. Daran wird deutlich, dass Geisendörfer zur Identifikationsfigur evangelischer Medienarbeit wurde, die initiierte und das Angestoßene – mit der Unterstützung anderer – in der Praxis umsetzte. Von 1960 bis 1976 war er Fernsehbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Senderbeauftragter für den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle. Von 1963 bis 1976 war er zugleich Senderbeauftragter für das ZDF. An der Gründung der Matthias-Film vor sechzig Jahren war er beteiligt. Der Aufbau der EIKON vor fünfzig Jahren geht auf seine Initiative zurück. Zwei Firmen: die eine, die Filme verleiht, die andere, die Filme entwickelt und produziert. Deren Bedeutung für die evangelische Kirche nicht gering ist. 1967 wechselt Geisendörfer auf die Bundesebene; 1968 gründet er die Evangelischen Kommentare; 1968 wird er Vorsitzender des Publizistischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands; 1968 übernimmt er das Amt des Schatzmeisters der World Association for Christian Communication und die Leitung des Europa-Büros dieser Organisation; 1968 wird er Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes für Deutschland. Aus dieser Position heraus gelang ihm, woran zum Beispiel Bischof Hanns Lilje schon 1949 dachte, als er von der Notwendigkeit sprach, eine „Zentrale für kirchliche Publizistik“ zu etablieren. Am 5. Juli 1973 war es soweit: Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik – kurz „GEP“ genannt – wurde gegründet. Das Jahr 1973 war für Robert Geisendörfer zweifellos der Höhepunkt seines beruflichen Wirkens. 25 Funktionen – Geschäftsführer-Tätigkeiten, Vorsitzenden-Aktivitäten, Beauftragungen, Mitglied- und Herausgeberschaften – nimmt er in diesem Jahr gleichzeitig wahr. Dann, drei Jahre später, sein plötzlicher Tod: Er stirbt 1976 auf einer Dienstreise.
Die evangelische Kirche hat Robert Geisendörfer den Aufbau einer profilierten und in den Grundpfeilern bis heute starken und anerkannten Medienarbeit zu verdanken. Verehrte, liebe Frau Dr. Böning-Geisendörfer: Wir verneigen uns in großer Dankbarkeit vor der Pionierleistung Ihres Vaters!
Beeindruckend ist aber nicht nur die durch die bloße Aufzählung von Funktionen entstandene formale Bilanz der Aktivitäten Robert Geisendörfers, sondern ihre inhaltliche Ausgestaltung. Der Name Robert Geisendörfer gilt als Synonym für die „Freiheit der Publizistik“. Wann immer in der evangelischen Kirche nach ihrem Verhältnis zu den Medien und ihrem Angebot gefragt wird, stoßen wir auf Stichworte, die von ihm selbst ein ums andere Mal bei zahllosen Anlässen angeführt wurden. Ich nenne neben der „Freiheit“ noch zwei weitere: „Stellvertretung“ und „Engagement ohne Eigennutz“. Im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik erinnert eine Tafel an seine markantesten Forderungen: „Was Evangelische Publizistik kann: Etwas öffentlich machen. Fürsprache üben. Barmherzigkeit vermitteln. Stimme leihen für die Sprachlosen.“ Landesbischof Helmut Claß, seinerzeit Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat ihn als „Vater der Presse- und Medienarbeit der Evangelischen Kirche“ bezeichnet. Spuren des Wirkens von Robert Geisendörfer finden sich auch außerhalb der Kirche. Sie zeigen, dass er sich und seiner Kirche Gehör und Respekt verschafft hat. Der damalige ARD-Programmdirektor Hans Abich titulierte ihn als „Vordermann der Unabhängigkeit“. Und Hans Bausch, damals Vorsitzender der ARD, nannte ihn „Vorkämpfer der Rundfunkfreiheit auf der vordersten Stelle der Barrikaden“.
Robert Geisendörfer war im Blick auf die evangelische Publizistik vieles in einer Person: Architekt und Planer, Organisator und Ausführender. Er war auch ein unternehmerisch denkender Stratege. Und natürlich machtbewusst. Ihm war klar, dass die besten Ideen sich nur umsetzen und auf Dauer Wirkung entfalten können, wenn sie sich organisieren und institutionalisieren lassen. Das lässt sich zeigen am Evangelischen Presseverband für Bayern wie am Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik. Walter Schricker, einer seiner langjährigen Mitarbeiter, stellte einmal bewundernd fest: Dass Geisendörfer dies gelingt, hänge „mit seiner fast spielerischen Art zusammen, Vertrauen zu schenken und Vertrauen zu gewinnen, Chancen zu bieten und Erfolg herauszufordern“.
Robert Geisendörfer war ein Grenzgänger und Mittler, der etwa in den Rundfunkanstalten die Sache der Kirche vertrat und in der Kirche die Sache der Anstalten. Er hat der evangelischen Publizistik in der Kirche eine Bedeutung und einen Stellenwert verschafft, den sie anfangs nicht hatte. Manche Forderung von ihm ist bis heute uneingelöst. Es ist ihm zwar gelungen, Journalisten in der Kirche heimisch zu machen, was einen ungeheuren Professionalisierungsschub auslöste, von dem wir bis heute profitieren. Aber auf einhundert Theologinnen und Theologen einen qualifizierten Journalisten kommen zu lassen, wie er es für wünschenswert hielt, das ist wohl uneinlösbar.
Von seinen Impulsen zu Freiheit und Anwaltschaft ist die wohl größte Wirkung ausgegangen. In der Publizistik sah er ein Mittel der Freiheit. Er pochte darauf, dass die Kirche ihr Engagement in den Medien ohne Eigennutz betreibt – zum Wohl der Schwachen und im Einsatz für Schwache und Verstummte. Aufgabe kirchlicher Publizistik ist die Information – nach innen und außen – und nicht die Verkündigung: „Durch Information, durch Meinungsäußerung, durch Orientierung, durch Kritik arbeiten wir an menschlicher Freiheit mit“, lautete sein Credo. Er war überzeugt, „dass eine solide, seriöse, sachgemäße und kritische Publizistik eine wesentliche Voraussetzung für Kirche in dieser Zeit ist“.
Organisatorisch hat er die Zusammenführung der publizistischen Kräfte in Deutschland vorangetrieben. Mit dem von ihm gegründeten Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik war er noch lange nicht am Ziel. Dabei ging es ihm keineswegs um eine Zentralisierung, denn die einzelnen Landeskirchen brauchen ihre Presseverbände. Aber er hat – mit den Worten unserer Tage – einer besseren Ressourcensteuerung den Weg bereitet, zu mehr Konzentration und Kooperation.
Auch heute gilt: Die evangelische Publizistik ist auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel. Robert Geisendörfer hat viele Nachfolger gefunden. Im Blick auf seine organisatorische Vernetzungsleistung scheint mir der Finanzchef unserer bayerischen Landeskirche, Oberkirchenrat Dr. Claus Meier, eine heutige Ausprägung Geisendörfers zu sein: durch seine Gremientätigkeit an hervorgehobener Stelle im GEP, bei der EIKON, bei der Matthias-Film, in der Weiterentwicklung der publizistischen Instrumente der evangelischen Kirche. Ich glaube, ich darf sagen, dass es ohne Claus Meier heute wohl kaum die erfolgreiche Zeitschrift „chrismon“ gäbe.
Wo steht die evangelische Medienarbeit heute? Im Publizistischen Gesamtkonzept „Mandat und Markt“ der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 1997 heißt es: „Die evangelische Publizistik ist in einer von Medien bestimmten Welt eine unverzichtbare Äußerungsform der evangelischen Kirche. Ihr Auftrag bezieht sich auf die Botschaft wie auf die Folgen des Glaubens. Sie übernimmt Verantwortung dafür, dass die Botschaft und die Lebensäußerungen der Kirche von allen Menschen wahrgenommen werden können. Sie ermöglicht die Beteiligung der Kirche im öffentlichen Gespräch... Die evangelische Publizistik wird in Wahrnehmung ihres Mandats selbst zum institutionellen Bestandteil Kirche.“ Hierin ist Robert Geisendörfers Erbe aufgenommen. „Das der evangelischen Publizistik übertragene Mandat bedeutet ein Ja zur verfassten Kirche und die Bereitschaft, den Fortbestand der Kirche publizistisch zu stützen“, heißt es in „Mandat und Markt“.
Das steht keineswegs im Widerspruch zu Geisendörfers Forderung nach einem Engagement ohne Eigennutz. Er selbst konnte um so entschiedener Partei für die Sprachlosen ergreifen, weil die Kirche über eine Stimme verfügte und verfügt, die gehört wird. „Das Mandat der evangelischen Publizistik“, so heißt es im dem Gesamtkonzept weiter, „verpflichtet zugleich zu einer unabhängigen Berichterstattung über das kirchliche Leben und die christliche Lebenswirklichkeit sowie zu einer kritischen Begleitung kirchlicher Vorgänge.“ Loyalität zur Kirche und Freiheit von der Institution ist eine Spannung, die in der evangelischen Publizistik ausgehalten wird. Weil das so ist, haben zum Beispiel der Evangelische Pressedienst epd – die älteste Nachrichtenagentur in Deutschland, die zu Jahresbeginn ihr 100-jähriges Bestehen feierte – ein so hohes Ansehen auch in den säkularen Medien. Dies gilt in ganz besonderer Weise etwa für den Branchendienst epd medien. Und das gilt auch für das seit Herbst letzten Jahres bestehende Internetportal evangelisch.de, das sich eines wachsenden Zuspruchs erfreut. Ich bin sicher: Robert Geisendörfer hätte an dieser Arbeit im World Wide Web, wenn sie schon zu seiner Zeit bestanden hätte, große Freude gehabt und das Internet – wie es die evangelische Kirche tut – planvoll mit ihren Angeboten erschlossen.
Die Herausforderung, vor der wir in der evangelischen Kirche im Blick auf unser Medienengagement heute stehen, ist eine zweifache: