Schauspielerin Britta Hammelstein, Schauspieler Ulrich Noethen, Autorin Susanne Beck, Autor Thomas Eifler und Regisseur Ben von Grafenstein, NDR 2018, Programmbereich Kultur, Dokumentation & Reportage, Verantwortliche Redakteure: Marc Brasse und Silke Schütze. Produktion: UFA FICTION
Begründung der Jury:
Geschichte wiederholt sich nicht. Das wissen wir. Aber Motive in der Geschichte wiederholen sich, die Dynamiken der Ausgrenzung von Menschen wiederholen sich und die unterlassene Hilfeleistung in Tateinheit mit der Billigung des Todes von hunderten und tausenden von Menschen wiederholt sich.
Mindestens 3000 Menschen sind im Jahr 2020 auf der Flucht vor politischer und religiöser Verfolgung oder vor Hungersnöten gestorben, ein Drittel davon ist im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele Menschen verschwinden einfach vom Erdboden – auf Nimmerwiedersehen.
Insofern ist der Stoff aus dem die wahre Geschichte der Irrfahrt des mächtigen Passagierschiffs St. Louis und ihres Kapitäns Gustav Schröder rekonstruiert wird, von bedrückender Aktualität.
Den Geisendörferpreis 2020/21 erhält der dokumentarische Spielfilm oder die fiktionale Dokumentation „Die Ungewollten“ (Regie von Grafenstein, Drehbuch Susanne Beck und Thomas Eiffler).
Die St. Louis transportiert vom März bis Juni 1939 neunhundert deutsche Juden auf der Flucht aus Nazideutschland.
Bevor sie das Schiff betreten haben sie all ihre Habe für ein Ticket aus Deutschland heraus hergegeben, sie haben gelobt, Deutschland nie wieder zu betreten. Sie besitzen nur noch einen Koffer und erwarten, dass das Schiff sie nach Kuba bringt. Sie führen die mühsam erworbenen Einreisegenehmigungen mit sich.
Der Film erzählt wie die jüdischen Flüchtlinge wieder und wieder betrogen wurden. Damals waren die verbrecherischen Schlepper nicht gewissenlose Banden, sondern ganze Staaten.
Der deutsche Staat vereinnahmte das Vermögen der jüdische Bürger, Betrüger in der Kubanischen Regierung stellten falsche Einreisepapier aus, sodass die 900 Menschen auf der St. Louis in einer unentrinnbaren Falle saßen. Denn man ließ sie nicht an Land. Nicht auf Kuba, nicht in den USA, nicht in Kanada. Der Kapitän Schröder erhielt von seiner Schiffsgesellschaft die Order, die Flüchtlinge nach Deutschland in den sicheren Tod zurückzubringen. Unbeschreibliche Szenen spielen sich ab auf diesem Boot, das sich nun auf eine Irrfahrt über den Atlantik begibt.
Es gelingt Drehbuch und Regie, dieses Drama von beinahe tausenden Menschen in einem genauen und fokussierten Kammerspiel zu erzählen: eine junge Mutter mit ihrem Sohn, ein Kapitän, der helfen will, ein Schiffsoffizier, der die nationalsozialistische Menschenverachtung verkörpert. Dieses Drama wird kompiliert mit ZeitzeugInnen, die damals Kinder gewesen sich und diese unvergessliche Fahrt glasklar erinnern.
Seine Wucht erhält der Film „Die Ungewollten“ durch seine klare Fokussierung und durch die Schauspieler: die Präsenz von Ulrich Noethen, der die Rolle des Kapitän Schröder mit ruhiger nachdenklicher Würde verkörpert trägt die Produktion, ebenso wie Britta Hammelstein als Martha Stern - und die großartige Musik, die den Film weitertreibt.
Der Kapitän Gustav Schröder konnte nicht allen, aber vielen seiner Passagiere das Leben retten. Sein Name wird unter die Gerechten in Yad Vashem gezählt. Im Jahr 2012 bat das Außenministerium der Vereinigten Staaten bei den Überlebenden um Verzeihung, 2018 hat sich der kanadische Ministerpräsiden Trudeau vor der Weltöffentlichkeit entschuldig, dass Kanada damals die Menschen abgewiesen hat.
Nein. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber auch heute warten Flüchtlingsschiffe auf die Genehmigung zur Hafeneinfahrt.