Autorin und Regisseurin Caterina Woj. WDR 2004 (Redaktion: die story, Produktion: Caterina Woj)
Begründung der Jury
„Er hätte nur hierherkommen müssen, an die Tür, sich verbeugen und sagen: „Vergebt mir! Dann wäre alles gut gewesen“, sagt Hasbi Kalojew, der Cousin des Mörders. Aber der Fluglotse Peter Nielsen kam nicht nach Nordossetien, um sich dafür zu entschuldigen, dass er in der Nacht vom 2. Juli 2002 einen Moment nicht aufgepasst und deshalb einen falschen Befehl gegeben hatte. Einen Befehl, der 71 Tote forderte – darunter auch die Frau und die beiden Kinder von Witali Kalojew.
Wer die Reportage Rache an einem Fluglotsen von Caterina Woj gesehen hat, versteht besser, warum Witali Kalojew zwei Jahre nach dem tragischen Unglück eines Tages vor der Tür des Fluglotsen stand. Warum er die Beherrschung verlor und zum Mörder an jenem Mann wurde, den er für den Mörder seiner Kinder hält. Man versteht aber auch besser, warum die Schweizer Flugaufsicht „Skyguide“ zwei Jahre lang jegliche Entschuldigung gegenüber den Angehörigen verweigerte. Denn eine solche Geste, so die abstrakte Logik der Rechtsanwälte, hätte in einem millionenschweren Schadensersatzprozess als Schuldeingeständnis gewertet werden können.
Ohne ihren analytischen Standpunkt je zu verlassen, vermittelt die Autorin Caterina Woj in ihrer einfühlsam komponierten, aber nie distanzlosen Reportage tiefe Einblicke in die Gefühlslage aller Beteiligten: Hier die ossietischen Hinterbliebenen, die sich in ihrer Trauer gedemütigt fühlen, solange kein Schuldiger für die Tat verurteilt wird. Dort die Schweizer Verantwortlichen, die sich für das tragische Unglück nicht vor dem abschließenden Gutachten haftbar machen lassen wollen.
Alle kommen in diesem 45-Minuten-Stück angemessen zu Wort: Die russischen Angehörigen, die Schweizer „Skyguide“-Vertreter, die deutschen Gutachter, die internationalen Anwälte. Jeder von ihnen kämpft um seine Vorstellung von Gerechtigkeit. So ist Rache an einem Fluglotsen nicht nur eine formal wie inhaltlich vorbildlich umgesetzte Reportage, sondern auf Grund der schonungslosen Gegenüberstellung von archaischer Selbstjustiz und westlichem Rechtssystem auch ein anspruchsvolles Thesenstück über Schuld und Sühne in unserem Wertesystem.